Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

74 Fünftes Buch. Drittes Capitel. 
brauchen, um zu bestehen; keinen Bund zu schließen, ohne Vortheil 
gegen Vortheil auszutauschen. Dieser principielle Gegensatz, in welchem 
sich persönliches Selbstgefühl und Bewußtsein der Würde des Staates 
durchdrangen, wurde nun aber durch mancherlei anderweite Differenzen 
genährt. 
Schon über das Testament Georgs I, das dessen Nachfolger 
nicht zum Vorschein kommen lassen wollte, waren Irrungen entstan- 
den: es folgten andere über die Erbschaft jener unglücklichen Herzogin 
von Ahlden, Mutter Georgs 1I und der Königin von Preußen. 
Nachbarliche Streitigkeiten brachen aus, vornehmlich über Mecklenburg, 
von welchem Lande Hannover, um der Kosten einer früher einmal 
vollzogenen Execution, die sehr hoch berechnet waren, sicher zu sein, 
einige Bezirke besetzt hielt, wogegen sich jetzt der König von Preußen 
ein Conservatorium ertheilen ließ, — auch über Ostfriesland, das bei 
einer nahe bevorstehenden Vacanz an Preußen fallen sollte, zur 
schlechten Genugthuung der hannoverschen Minister. 
Da Friedrich Wilhelm eben damals den Tractat einging, durch 
den er sich so genau an den Kaiser anschloß und England sich diesem 
sehr ernstlich entgegenstellte, da ganz Europa noch zwischen Krieg und 
Frieden schwankte: so hat es sogar einen Augenblick bei einem ge- 
ringen Anlaß den Anschein gewonnen, als sollte der Streit zwischen 
diesen beiden nahe verwandten Königen zu dem Ausbruch emnstlicher 
Thätlichkeiten führen. 
Den Anlaß gaben einige Gewaltsamkeiten preußischer Werber, 
wie sie schon oft vorgekommen. Aber jetzt wollte Georg II, der 1729, 
zum ersten Male als König, seine deutschen Länder besuchte, sie nicht 
mehr dulden. Ohne dem König von Preußen auch nur Nachricht von 
seiner Ankunft gegeben, geschweige ihn erinnert zu haben, ließ er die 
preußischen Soldaten, die den Weg durch sein Gebiet nahmen, auf- 
greifen und gefangen setzen, und erklärte, sie nicht wieder frei geben 
zu wollen, bis ihm die Hannoveraner, welche man in preußische 
Dienste genommen, ausgeliefert seien. 
In Berlin erfuhr man dies nicht etwa durch amtliche Anzeige, 
sondern durch die Zeitungen, und es läßt sich denken, in welche Auf- 
regung Hof und Armee gerieth. Georg II, sagte man, habe damit 
nicht eine Feindseligkeit begangen, gegen die man sich würde wehren 
können, sondern eine Beleidigung, die man rächen müsse: Friedrich 
Wilhelm hatte nicht übel Lust, ein paar Quartiere im Lüneburgischen 
aufheben zu lassen, damit auch er Gefangene auszuwechseln habe, sich 
überhaupt mit den Waffen Genugthuung zu verschaffen.
	        
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