Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

88 Flinftes Buch. Viertes Capitel. 
Der König schalt den Prinzen, daß er nicht besser reiten und 
schießen lernen wolle, als er thue; er warf ihm ein unmännliches 
Wesen, weibische Gebehrden vor. Mit besonderem Widerwillen be- 
merkte er, daß Friedrich keinerlei Neigung zeigte, sich mit seinem 
Hauswesen zu befassen und seine kleine Wirthschaft zu führen:; er 
hielt ihn um so kürzer und strenger: aber dies hatte dann wieder die 
Folge, daß der Prinz Schulden machte. Wenn diese dann einmal, 
nicht ohne harte Worte, zum Theil bezahlt wurden, so hielt Friedrich 
sich nicht für verpflichtet, dem Vater die Meinung zu benehmen, als 
habe er sie nunmehr alle getilgt. 
Und in der Auffassung der höchsten Dinge so gut, wie in den 
täglich vorkommenden, trat ein Gegensatz zwischen ihnen hervor. 
Friedrich Wilhelm, obwohl, wie sein ganzes Haus, von refor- 
mirtem Bekenntniß, nahm doch an einem der wichtigsten calvinistischen 
Dogmen, dem Lehrsatze von der unbedingten Gnadenwahl, der dem 
Gemeinsinn, der in ihm lebte und webte, widersprach 1), Anstoß, und 
erklärte sich, ohne nach dem Zusammenhang des ganzen Lehrgebäudes 
zu forschen, für die lutherische Auffassung in diesem Stücke. Der 
Prinz dagegen faßte gerade für diese Lehre, die etwas tiefsinnig Groß- 
artiges hat und ihm besser aus den Beweisstellen zu folgen schien, 
eine entschiedene Vorliebe. Die Prediger zwar, die ihn unterrichteten, 
hätten nicht gewagt, ihm ein Wort davon zu sagen, aber schon war 
er selbständig genug, um ihrer nicht mehr zu bedürfen ). Er nahm 
sich die Zeit, Büchercataloge durchzusehen, und wenn er auf einen 
Titel stieß, der in diese Streitfrage einschlug, versäumte er nicht, 
sich das Buch zu verschaffen; da er einmal Antheil, ja Partei ge- 
nommen, so hat es ihm keine große Ueberwindung gekostet, sich an 
1) In den eigenhändigen Bemerkungen zur Inslruction heißt es: „sollen 
ihn nicht zum Particularisien machen, sondern soll die universalische Gnade 
glauben von Christus.“ 
2) In den Fluchtacten findet sich die Aussage des Hofpredigers Andreä, 
er habe den Kronprinzen nicht anders unterrichtet, als die h. Schrift und die 
Glaubensbekenntuisse der Reformirten, insonderheit auch des Chf. Johann 
Sigismunds, welches Deponent sammt allen Hofpredigern nach Sr. K. Mt. 
Befehl zweimal unterschrieben, es erforderten: — er habe den Kronprinzen 
auf die Gnade in Christo und ein gottseliges Leben hinzuführen gesucht. Von 
dem Rathschluß Gottes habe er wegen der Jugend des Kronprinzen noch ab- 
strahirt „und ihm nur gesagt, daß diese Materie vor ihn, den Krouprinzen, 
noch zu hoch sei.“ — Es war die Histoire de la religion des églises re- 
formees von Jacob Basnage, was der Prinz las. —
	        
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