Volkssitte. 253
umgehauen werden. — Der Wind ist ein Riese; er schläft ein und wacht
auf; er jammert bei der Nacht, und hat ein Weib, die Windin. Die
Windin ist viel schärfer als ihr Mann, weht am Morgen und plaudert gerne
mit den Hexen. — Der Thau sitzt auf dem Zaun und flicht Rosen-
kränze. — Der Regen strickt ven Regenbogen. — Der Regenbo-
gen ist der Saum des Kleides U. L. Frau, seine sieben Farben deuten auf
die sieben Sakramente, welche Gott dem Noah versprochen; er ist die Brücke,
auf welcher die Sündfluth-Taube ging, um sich vor dem Ertrinken zu retten.
— Der Schnee ist des Nebels Sohn. — Regen und Schnee gingen
einmal über Land und kehrten bei einem Bauern zu. „Gib uns zu essen“,
sagten sie, „sonst bringst du uns nicht an!“ Da griff der Bauer nach einem
Topf am Heerde und sagte: „Da habt ihr was; den Deckel könnt ihr selbst
herabthun!“ Als sie dieses thaten, fuhr der heiße Dampf heraus, und ver-
trieb den Regen zum Dach hinaus und den Schnee in den Fußboden. —
Berg und Thal schufen die Fußtritte der Riesen, als die Erde noch weich
war. — Als das Himmelsgewölbe noch ohne Sterne war, warfen die Riesen
einmal mit Kugeln nach der Sonnenscheibe und durchlöcherten den Himmel.
Aus diesen Löchern blitzt nun das Licht des innern Himmels. Das sind die
Sterne.
Mögen diese Beispiele genügen. Sie sind sinnig und poetisch genug,
um unsere Ansicht über die Bedeutung der oberpfälzischen Volkssagen zu
rechtfertigen. —
Sechster Abschnitt.
Volkssite.
Von Ednard Feutsch.
„Tag und Nacht arbeiten, schlecht sich nähren und dabei zufrieden sein,
ist Grundgesetz des oberpfälzischen Lebens.“:) Der Oberpfälzer kennt durch-
schnittlich nur ein sehr bescheidenes Genüge; Reichthum und Behäbigkeit sind
selten; desto häufiger sitzt die Noth zu Gaste. In gewissen Gegenden, wie
in der Steinpfalz und am südlichen Böhmerwaldvorlande ist die Armuth nicht
geringer als etwa im Spessart und auf der hohen Rhön. Aber sie bescheidet
sich und ist ohne Vergleich anspruchloser.
Unter solch einem äusseren Drucke erstickt wohl häufig die bunte Farbe,
womit anderwärts ein reiches und gesegnetes Volksleben in die Erscheinung
1) Schönwerth. Sitten und Sagen I. 18.