Volkstracht. 845
wird diese alte Tracht in Stoff und Schnitt bei Männern und Frauen von
städtisch-bürgerlicher Modetracht verdrängt, auch in der Farbe, wiewehl die
lange Trauerzeit das altübliche Schwarz begünstigt; im Jahre 1848 starb zu
Immenstadt das letzte alte Männlein, das in der „Oberpfarrtracht“ und
dem weißwollnen Regenmantel einher ging Etwas länger hat sich jene Klei-
dung in den Quellenthälern der Iller, in der Oberstdorfer Pfarrei erhalten.
Aber vor etwa fünfzehn Jahren wurde auch hier bei den Männern der lange
Flügelrock, Lederhose, Strümpfe, Schnallenschuhe, Manchesterwesten, zur Ar-
beit Langhosen von blauer Leinwand und schwarze Zwilchjacken die Regel.
Die Frauentracht hatte hier einige eigenthümliche Bestandtheile oder Far-
ben: z. B. ward der „Bris-Riemen“ (Schnürbaud), welcher Latz und Mie-
der an den Silberhaken zusammenhielt, von hochrother Wolle, zum Putz von
grüner Seide getragen; das „Aermelhemd“, eine knappe Sommerjacke, ward
über dem Mieder, welches es sichtbar ließ, mit einer bunten Bandschleife
geschlossen. Das Ehrenzeichen der Jungfrauen bestand in ältester Zeit aus
äußerst zierlichen hohen Kronen von Silber= und Gold-Draht-Flitter, Glas-
perlen und Steinen, künstlichen kleinen Blumen und Blättern in Form einer
achtblättrigen deutschen Fürstenkrone zusammengefaßt, von welcher hinten eine
hochrothe Seidenschleife niederfiel. Die Krone selbst saß auf dem zurückge-
strichnen Haar am Vorderkopf, indessen die Flechten zu beiden Seiten Schlin-
gen bildeten. Diesem Putz, einst im ganzen obern Illerthal üblich, begegnet man
noch heute im Walserthal an hohen Kirchenfesten, im Uebrigen ist er durch
die einfacheren „Jungfernkrönlein“", die „Reginahauben“, verdrängt. Zum
Tanze gehen die Mädchen jetzt gern im bloßen Kopf, mit hohen Kämmen in
dem reichen Haar. Längere Zeit hatte sich im äußeren Allgäu westlich der
Iller im Kemptenerlande mit den alten Zuständen auch die alte Tracht er-
halten; vor 50 Jahren waren Mantel und Regenschirm in jener Gegend
noch unerhörte Prunkstücke und während jetzt jeder Bauer und jeder einiger-
maßen behäbige Bursche seine Taschenuhr hat, fanden sich deren im Jahre
1800 im ganzen Buchenberg nur drei im Besitz der Dorfmagnaten, des
Müllers, des Krämers und des Jägers.
Wo wie z. B. im Gebiet von Kaufbeuren und Obergünzburg die Bauern-
mädchen die Tracht der Landstädterinnen nachahmen, werden nicht nur die
„modischen“ Stoffe (Perse, Kattun, Mousselin 2c.) und die „modischen“
Farben und Muster in den Kaufläden von ihnen verlangt, sondern auch
Corsett und Unterrock wird recipirt und alle städtischen Schmuckgegenstände,
Ohrringe, Brochen, gehören dann mit zur Toilette von solchen ländlichen
Schönen, die nicht ahnen, daß sie in dieser Nachäffung bürgerlicher Eleganz
plump und lächerlich aussehen, während ihnen z. B. das scharlachrothe Kopf-
tuch und die blaue Bandhaube so lieblich zu Gesichte steht.
Im untern Illerthal, den alten Landgerichten Illertissen, Grönenbach, Neu-
ulm unterscheiden sich die katholischen und protestantischen Siedelungen wie