§ 4. Die Reichsangehörigen, deren Rechte und Pflichten. 9
Durch die Verfassung der Einzelstaaten ist aber auch deren Existenz
gewährleistet und diese Existenz wollte in keiner Weise durch An-
nahme des Art. 78 der Reichsverfassung geopfert werden. Wie jede
Bestimmung der deutschen Reichsverfassung, so ist auch die letzt-
genannte des Art. 78 nur im Zusammenhange mit den Einleitungs-
worten dieser Verfassung und nach dem Sinne und dem Zwecke der-
selben auszulegen und anzuwenden. Hiedurch ist aber natürlich nicht
ausgeschlossen, daß auf Grund von Thronfolgerechten oder von rechts-
giltigen Verträgen, welche immer wieder nur auf verfassungsmäßiger
Grundlage stehen dürfen, Verschmelzungen deutscher Staaten mit
einander und zwar ohne Zustimmung des Reiches stattfinden können. 35)
84.
Die Reichsangechörigen, 36) deren Rechte und Pflichten.
Die Angehörigen eines jeden einzelnen zum Reiche gehörigen
Bundesstaates sind infolge der Zugehörigkeit dieses Bundesstaates
zum Reiche zugleich auch Angehörige oder Bürger des deutschen Reiches.
Art. 3 der Reichsverfassung bestimmt:
Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat mit
der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger 3)
eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als In-
länder zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbe-
betrieb, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken,
zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes und zum Genuß aller sonstigen
bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der
Einheimische zuzulassen, auch inbetreff der Rechtsverfolgung und
des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist. Näheres siehe
unter § 6: Das deutsche Indigenat.
Kein Deutscher darf in der Ausübung dieser Befugnisse durch
die Obrigkeit seiner Heimat oder durch die Obrigkeit eines anderen
Bundesstaates beschränkt werden.
Es kann aber in der Regel Niemand ein deutscher Reichsangehöriger
sein, ohne daß er einem deutschen Einzelstaate angehört.s)
55) Lab. 1, 112—117.
5) efr. Lab. 1, 118—140.
*7) Durch die Beifügung dieser Paranthese „Unterthan, Staatsbürger“
sind „juristische Personen“ von der Anwendung des in Art. 3 d. R.-Verf. aus-
gesprochenen Grundsatzes ausgeschlossen. ctr. Pröbst Anm. 3 zu Art. 3 S. 14.
Nach staatsrechtl. Grundsätzen gehören „juristische Personen“ — welche nach
v. Sicherer „Nichts anderes sind, als eine Form des vermögensrechtlichen
Verkehres“ — überhaupt nicht zu den Staatsunterthanen. Seydel, Comm. S. 52 f.,
Anm. IV zu Art. 3.
") efr. jedoch hieher auch § 6 d. Ges. v. 15./19. März 1888 betr. die
deutschen Schutzgebiete über Verleihung der Reichsangehörigkeit an Ausländer,
welche in Schutzgebieten sich niederlassen, und an Eingeborne. Web. 18, 769;
ferner Gesetz vom 25. Juni 1873 über Einführung der Reichs-Verf. in Elsaß-
Lothringen. Web. 10, 45.