thumbs: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

43 
durch Zahlung eines höheren Nominalkapitals ge- 
schehen kann, und daß auch eine Tilgung mittels 
Ankaufs an der Börse teuer zu werden pflegt, 
weil bei niedrigerem Begebungspreis die Anleihe 
stärkerer Kurssteigerung fähig ist. Wenn man 
daher auch durch den effektiven Zinsengewinn bei 
der Anleihe mit niedrigerem Zinsfuß und höherem 
Nominalkapital dieselbe in einer langen Reihe von 
Jahren tilgen könnte, so ist doch jede zugesicherte 
oder mögliche schnellere Tilgung für den Staat 
kostspieliger. Besonders ist die Möglichkeit zu be- 
rücksichtigen, daß eine zu höherem Zinsfuß auf- 
genommene Anleihe später unter eingetretenen 
günstigen Umständen mit Zustimmung der Gläu- 
biger oder durch Kündigung und neue Anleihe in 
eine geringer verzinsliche umgewandelt werden 
könne. Der hierdurch erreichbare Vorteil kann 
von ganz überwiegender Bedeutung sein. Oft 
hat man hierauf zu wenig Gewicht gelegt und 
zum Schaden des Staats Anleihen mit niederem 
Zinsfuß, bei welchem das Nominalkapital die wirk- 
liche Einzahlung weit überstieg, aufgenommen, 
weil die zeilweilige Zinsenersparnis im Vergleich 
zu einer Anleihe anderer Art dazu verleitete, oder 
weil man bei schwierig zu erlangendem Kredit sich 
scheute, einen ungewöhnlich hohen, manchmal im 
Privatverkehr als wucherisch nicht gestatteten Zins- 
fuß direkt zu bewilligen. Für die richtige Ab- 
wägung der Vorteile und Nachteile des einen und 
des andern Verfahrens gibt es freilich keine sichern 
Grundlagen, da es hierbei wesentlich auf die 
Frage ankommt, bis zu welchem Zeitpunkt bei der 
Aufnahme der Anleihe zu höherem Zinsfuß eine 
spätere Zinsreduktion möglich sein werde, dieser 
Zeitpunkt aber nicht mit Sicherheit vorauszusehen 
ist. In den meisten Fällen aber wird sich zeigen, 
daß man besser daran tut, einen Zinsfuß zu wäh- 
len, bei welchem die Summe, die man wirklich 
erhält, nicht oder doch nicht bedeutend unter dem 
Nominalkapital bleibt. 
Die Form der Anleihe gegen Gewährung einer 
Rente kann auch in anderer als der oben erwähnten 
Weise der Verschreibung einer ständigen, jedoch 
ablösbaren Rente Anwendung finden. Die zu- 
gesicherte Rente lann eine uneinlösbare, immer- 
währende sein, oder sie kann nur für eine gewisse 
Staatsschulden. 
44 
scheinen, wenn der Begebungspreis ein so hoher, 
die Verzinsung desselben, welche die Rente ge- 
währt, eine so niedrige wäre, daß ein bedeutendes 
Steigen des Kurses an der Börse sich in langer 
Zeit nicht erwarten ließe. 
Anleihen gegen Verschreibung von Zeitrenten 
(Annuitäten), die nur auf eine bestimmte Reihe 
von Jahren, oder von Leibrenten, die auf Lebens- 
zeit dem Gläubiger zugesichert wurden, waren 
früher in Frankreich und England, zum Teil in 
Verbindung mit andern Anleiheformen, gebräuch- 
lich. Hierbei begreift die Rente sowohl die Ver- 
zinsung wie die Tilgung des hingegebenen Ka- 
pitals in sich. Dies hat in volkswirtschaftlicher 
Beziehung den Nachteil, daß es häufig zu un- 
produktiver Verzehrung der in der Rente ent- 
haltenen Kapitalrückzahlungen kommt. In finan- 
zieller Beziehung entbehrt der Staat die Aussicht 
auf eine mögliche Zinsreduktion, und die in der 
Rente einbegriffene Tilgungspflicht, die namentlich 
bei kurzen Zeitrenten und bei Leibrenten eine starke 
sein muß, kann ebenso wie eine zugesicherte Til- 
gung bei Kapitalverschreibung lästig und nach- 
teilig werden. Eine besondere Art der Anleihen 
gegen Leibrenten waren die Tontinen, wobei 
die Leibrenten in einer Gesellschaft vereinigter 
Personen bei dem Ableben von Mitgliedern den 
übrigen zufielen und erst mit dem Tod des Längst- 
lebenden erloschen. Dies reizte wohl zu verhältnis- 
mäßig hoher Kapitalzahlung für die Rente; der 
Staat konnte aber doch ein schlechtes Geschäft ge- 
macht haben, wenn der Längstlebende ein unge- 
wöhnlich hohes Alter erreichte. 
Auf die verschiedenste Weise kann mit den Be- 
dingungen einer Anleihe ein Glücksspiel verbunden 
werden. Schon bei der einfachen, allmählichen 
Tilgung einer unter dem Nennwert begebenen 
Anleihe liegt in der Auslosung der zur Einlösung 
kommenden Schuldverschreibungen ein Glücksspiel, 
welches darüber entscheidet, wer zunächst den Vor- 
teil der Einlösung im Nominalbetrag erlangen soll. 
Von viel größerer Bedeutung ist aber das Glücks- 
spiel bei der im vorigen Jahrhundert vielfach ge- 
wählten Form der sog. Lotterieanleihen. 
Dieselben sind meistens so eingerichtet, daß Schuld- 
scheine (Prämienscheine) auf Inhaber ohne Zins- 
  
Dauer als Zeit= oder Leibrente versprochen werden. koupons von gleichem, in der Regel niedrigem 
Bei der Verschreibung einer uneinlösbaren, immer- Nominalbetrag ausgestellt werden, welche nach 
währenden Rente kann der Stoat nur durch Rück- festgesetztem Plan innerhalb einer Reihe von 
kauf sich von der Schuld befreien. Dies erschwert Jahren auf Grund periodischer Verlosungen mit 
die Tilgung derselben, wenn der Kurs der Anleihe verschiedenen Summen, von denen einige hohe 
gestiegen ist und infolgedessen der Rücklauf mehr, Gewinste gewähren, zur Einlösung kommen. Oft 
vielleicht viel mehr kostet, als der Staat empfangen werden zu diesem Behuf die Schuldscheine in Se- 
hat. Die Möglichkeit, in günstigen Zeiten eine rien eingeteilt und jedesmal zuerst die Serien aus- 
Verminderung der Rentenlast durch Vereinbarung gelost, die an der Gewinnziehung teilnehmen 
  
mit den Gläubigern über Umwandlung der Schuld 
zu erreichen, ist ausgeschlossen, weil man bei der 
Uneinlösbarkeit der Rente kein Mittel in der 
Hand hat, die Gläubiger zu einer ihnen nach- 
teiligen Anderung zu bewegen. Eine Anleihe dieser 
Art könnte daher nur dann als zweckmäßig er- 
sollen, worauf dann letztere an einem späteren 
Termin nachfolgt. Der geringste Betrag, der auf 
einen herausgelosten Schuldschein planmäßig fällt, 
wächst gewöhnlich allmählich nach dem Maßstab 
eines gewissen Zinsfußes. Da aber die hierin und 
in den höheren Preisen liegende Zinsenzahlung erst
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.