318 Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußische Politik.
Curs) von der Erbschaft des alten, zwei Jahrzehnte hindurch
davon zehren, ohne sich über die Schwächen und Irrthümer
ihrer Epigonenwirthschaft klar zu werden; noch in die Schlacht
von Jena ?y hinein trugen sie sich mit der Ueberschätzung des
eignen militärischen und politischen Könnens. Erst der Zu-
sammenbruch der folgenden Wochen brachte den Hof und das
Volk zu dem Bewußtsein, daß Ungeschick und Irrthum in der
Staatsleitung obgewaltet hatten. Wessen Ungeschick und wessen
Irrthum aber, wer persönlich die Verantwortlichkeit für diesen
gewaltigen und unerwarteten Zusammenbruch trug, darüber
kann selbst heut noch gestritten werden.
In einer absoluten Monarchie, und Preußen war damals
eine solche, hat an der Verantwortlichkeit für die Politik außer
dem Souverän Niemand einen genau nachweislichen Antheil;
faßt oder genehmigt dieser verhängnißvolle Beschlüsse, so kann
Niemand beurtheilen, ob sie das Ergebniß eignen moralischen
Willens oder des Einflusses sind, den die verschiedenartigsten
Persönlichkeiten männlichen und weiblichen Geschlechts, Adju-
tanten, Höflinge und politische Intriganten, Schmeichler,
Schwätzer und Ohrenbläser auf den Monarchen geübt haben.
Die Allerhöchste Unterschrift deckt schließlich Alles; wie sie er-
reicht worden ist, erfährt kein Mensch. Dem jedesmaligen
Minister die Verantwortlichkeit für das Geschehne aufzuerlegen,
ist für monarchische Auffassungen der nächstliegende Ausweg.
Aber selbst wenn die Form des Absolutismus der Form der
Verfassung Platz gemacht hat, ist die sogenannte Ministerver-
antwortlichkeit keine von dem Willen des unverantwortlichen
Monarchen unabhängige. Gewiß kann ein Minister abgehn,
wenn er die königliche Unterschrift für das, was er für noth-
wendig hält, nicht erlangen kann; aber er übernimmt durch
1) Als neuen Curs bezeichnete man die Politik Kaiser Wilhelms II.
nach Bismarck's Entlassung.
!) 14. October 1806.