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mangelhaft geregelt, das Judenedikt von 1813 ist mit seinen Bestimmungen
nicht einmal den damaligen kirchlichen Zuständen der Juden gerecht ge-
worden, und inzwischen hat man sich mit Ministerialentschließuugen, die
teilweise im Widerspruch mit dem Judenedikt stehen, durchgeholfen;
über Fragen von erheblicher praktischer Bedeutung besteht lebhafter Streit,
nicht einmal das Besteuerungsrecht der Kultusgemeinden ist unangefochten
geblieben. Die rechtliche Stellung der Rabbiner, Religionslehrer, israeliti-
schen Volksschullehrer ist nicht sicher umschrieben. Zweifel bestehen über
den rechtlichen Charakter der Rabbinatsbezirke, der israelitischen Elemen-
tar- und Religionsschulen. An einer Organisation der israelitischen Re-
ligionsgesellschaft in ihrer Gesamtheit in Bayern fehlt es vollständig; die
Kultusgemeinde ist zugleich oberster und unterster Organismus. Der Rab-
biner ist in Kultus- und Zeremonialfragen Papst für jede Kultusgemeinde;
über ihm steht niemand. Es entstehen aber sehr häufig hitzige Streitig-
keiten in solchen Fragen zwischen Rabbiner und Gemeinde, man läuft zu
den Verwaltungsbehörden, und diese sollen dann in Dingen, von welchen
sie begreiflicherweise nichts wissen und nichts verstehen, Entscheidungen
treffen; denn sie sind zuständig für Beschwerden wegen Mißbrauchs der
geistlichen Gewalt, während sie dem Rabbiner andererseits den weltlichen
Arm leihen müssen, solange er die Grenzen seines Wirkungskreises nicht
überschreitet. Kurz, in Bayern sind die rechtlichen Verhältnisse der
israelitischen Religionsgesellschaft so unbefriedigend und verworren wie
nur möglich.
Demgegenüber ist es ein wahrer Genuß, aus dem Wourrschen Buch
die klare Rechtslage und die wohlgeordneten Verhältnisse der israelitischen
Religionsgemeinschaft in Baden kennen zu lernen. Zunächst gibt W. im
ersten Kapitel eine übersichtliche geschichtliche Darstellung der Entwick-
lung der isr. Religionsgemeinschaft in Baden von 1806 (Erhebung Badens
zum Großherzogtum) bis zur Erlassung des Judenedikts von 1809 und von
da bis zur Gegenwart. In einem zweiten Kapitel behandelt er die israeli-
tische Religionsgemeinschaft in Baden in ihrer Gesamtheit, im dritten und
umfassendsten Kapitel Synagogenbezirk und Religionsgemeinde.
Besonderes Interesse bietet die straffe Organisation, welche der badi-
schen isr. Religionsgemeinschaft eigen ist. An der Spitze steht der israeli-
tische Oberrat, besetzt mit einem (christlichen) Ministerialkommissär und
6 weltlichen Oberräten und 3 geistlichen, den Konferenzrabbinern, die alle
9 vom Landesherrn immer auf 6 Jahre ernannt werden. Charakteristisch
ist die Erledigung der Geschäfte des Oberrats durch zwei Konferenzen, die
Administrations- und die Religionskonferenz. Die letztere, oberste Instanz
in Kultus- und Zeremonialfragen, ist eine Behörde, deren Vorhandensein
auch in Bayern ein dringendes Bedürfnis wäre, um die Verwaltungsbehör-
den von der Entscheidung rein religiöser Fragen zu entlasten. Die ge-
samte Religionsgemeinschaft zerfällt in Synagogenbezirke, an deren Spitze
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXI. 2/3. 29