Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Der Friede im Gf##en. (Dezember 22.—28.) 963 
zu verlieren, sind die Verbündeten bereit, sofort in die Beratung derjenigen 
Spezialpunkte einzutreten, deren Durcharbeitung sowohl für die russische 
Regierung als für die Verbündeten auf alle Fälle notwendig erscheinen wird. 
In Erwiderung hierauf erklärt der Führer der russischen Delegation 
Joffe, diese konstatiere mit Genugtuung, daß die Antwort der Delegationen 
Deutschlands, Oesterreich-Ungarns, Bulgariens und der Türkei die Prin- 
zipien eines allgemeinen demokratischen Friedens ohne Annexionen auf- 
genommen habe. Sie erkenne die enorme Bedeutung dieses Fortschrittes 
auf dem Wege zum allgemeinen Frieden an, müsse jedoch bemerken, daß 
die Antwort eine wesentliche Beschränkung in Punkt 3 enthalte. Die russische 
Delegation konstatiere weiter mit Befriedigung die in der Erklärung der 
Vierbundmächte zu Punkt 5 enthaltene Anerkennung des Prinzips „ohne 
Rontributionen". Sie macht jedoch hinsichtlich der Entschädigung für den 
Unterhalt von Kriegsgefangenen Vorbehalt. Ferner erklärt die russische Dele- 
gation, sie lege Gewicht darauf, daß Privatpersonen, die unter Kriegsaktionen 
gelitten haben, aus einem internationalen Fonds entschädigt werden. Die 
russische Delegation erkennt an, daß die Räumung der vom Gegner be- 
setzten deutschen Kolonien den von ihr entwickelten Grundsätzen entspreche. 
Sie schlägt vor, die Frage, ob das Prinzip der freien Willensäußerung der 
Bevölkerungen auf die Kolonien anwendbar sei, besonderen Kommissionen 
vorzubehalten. Abschließend erklärt der Führer der russischen Delegation, 
diese sei trotz der erwähnten Meinungsverschiedenheiten der Ansicht, daß 
die in der Antwort der Mächte des Vierbundes enthaltene offene Erklärung, 
keine aggressiven Absichten zu hegen, die faktische Möglichkeit biete, sofort 
zu Verhandlungen über einen allgemeinen Frieden unter allen kriegführen- 
den Staaten zu schreiten. Mit Rücksicht hierauf schlägt die russische Dele- 
gation eine zehntägige Unterbrechung der Verhandlungen vor, be- 
ginnend heute abend und endigend am 4. Jan. 1918, damit die Völker, 
deren Regierungen sich den hier geführten Verhandlungen über einen all- 
gemeinen Frieden noch nicht angeschlossen haben, die Möglichkeit geboten 
wird, sich mit den jetzt aufgestellten Prinzipien eines solchen Friedens be- 
kannt zu machen. Nach Ablauf dieser Frist müssen die Verhandlungen unter 
allen Umständen fortgesetzt werden. 
Der Vorsitzende, Graf Czernin, ersucht hierauf die russische Dele- 
gation, diese ihre Antwort schriftlich zu überreichen und schlägt vor, sofort 
in die Verhandlung jener speziellen Punkte einzutreten, welche für alle Fälle 
zwischen der russischen Regierung und den Regierungen der verbündeten 
Mächte geregelt werden müßten. Der Führer der russischen Delegation 
schließt sich diesem Vorschlage an. 
Bei den Beratungen über die Spezialfragen, die vom 26.—28. 
stattfinden, wird in einer Reihe wichtiger Punkte die Grundlage für eine 
Einigung geschaffen. Außer politischen Fragen werden auch solche rechtl. 
und wirtschaftl. Natur verhandelt und vorbehaltlich der Prüfung durch die 
heimischen Behörden und der endgültigen Redaktion befriedigend geregelt. 
In der wichtigen Frage der Behandlung der beiderseits besetzten Ge- 
biete wird von russischer Seite folgender Vorschlag gemacht: In voller 
Uebereinstimmung mit der offenen Erklärung der beiden vertragschließenden 
Teile, daß ihnen kriegerische Pläne fernliegen und daß sie einen Frieden 
ohne Annexionen schließen wollen, zieht Rußland seine Truppen aus den 
von ihnen okkupierten Teilen Oesterreich-Ungarns, der Türkei und Persiens 
zurück, und die Mächte des Vierbundes aus Polen, Litauen, Kurland und 
den anderen Gebieten Rußlands. Entsprechend den Grundsätzen der russischen 
Regierung, die das Recht aller in Rußland lebenden Völker ohne Aus- 
nahme auf Selbstbestimmung bis zur Absonderung verkündet hat, wird der 
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