Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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öffentliche Wohl wichtigen Zeit für die Rechte der 
Kirche gekämpft und die einmal übernommene 
Sache der Gerechtigkeit hochgemut durchgeführt, 
bis er sich an dem unablässig verfolgten Ziel sah“. 
In der St Hedwigskirche zu Berlin hielt am 
17. März Fürstbischof Kopp von Breslau den 
Trauergottesdienst, zu welchem der Kaiser und die 
deutschen Bundesfürsten fast ausnahmslos ihre 
Vertreter gesandt hatten. Als der Trauerwagen 
die Kaiserdurchfahrt des Brandenburger Tors 
passierte, deren Benutzung ausnahmsweise ge- 
stattet war, traten die Wachen ins Gewehr. Am 
18. März wurde Windthorst in der Marienkirche 
zu Hannover, zu deren Errichtung er die Mittel 
beschafft hatte, unter ungeheurer Beteiligung der 
Bevölkerung und überaus zahlreicher Abordnungen 
aus allen Teilen Deutschlands bestattet. 
Will man die politische Individualität Windt- 
horsts in einem Satz würdigen, so kann man 
sagen: er war ein moderner katholischer 
Politiker, und zwar der ausgeprägteste Typus 
eines solchen, wie er uns in gleicher Einheitlich- 
keit und Konsequenz weder in Deutschland noch 
in irgend einem andern Land entgegentritt. Er 
nahm den modernen Staat und insbesondere den 
modernen deutschen Verfassungsstaat mit seiner 
staatsrechtlichen Gleichberechtigung der großen 
Konfessionen so wie er ist; er verteidigte die ver- 
fassungsmäßige religiöse Freiheit aller Konfessio- 
nen und die Rechtsstellung der katholischen Kirche 
auf dem Boden und mit den Mitteln des modernen 
öffentlichen Lebens, ohne sich durch idealistisch- 
retrospektive Betrachtungen den Sinn für die prak- 
tische Gegenwartsarbeit trüben zu lassen. Aber er 
beschränkte sich nicht auf die Verteidigung der 
religiösen Interessen und der besondern Rechte des 
katholischen Volksteils, dort, wo sie angegriffen 
waren; er griff auch in alle andern politischen 
Fragen ohne Ausnahme ein und suchte sich dem 
ganzen Volk nützlich zu machen, wo immer seine 
hervorragende Begabung ihm in der gegebenen 
innerpolitischen Situation einen Platz anwies. 
Vom Standpunkt der christlichen Weltanschauung 
aus war er für das moralische und materielle 
Wohl aller Volksklassen tätig, so wie das Pro- 
gramm seiner Partei es verlangte. Als Partei- 
führer verstand er es meisterhaft, durch stetes 
nachdrucksvolles Hervorkehren der entscheidenden 
Gesichtspunkte und durch kraftvolle Uberwindung 
aller Meinungsverschiedenheiten in Einzeldingen 
eine große Partei zu gründen und unter oft 
schwierigen Verhältnissen zusammenzuhalten. Mit 
derselben Bestimmtheit, mit welcher er für die 
Rechte der katholischen Kirche eintrat und in 
kirchlichen Fragen der kirchlichen Autorität sich 
unterordnete, achtete er auch die Rechtssphäre des 
Staats sowie die Rechtsstellung der evangelischen 
Kirche und nahm er für sich und seine Partei 
die Selbständigkeit in allen politischen Fragen 
in Anspruch, welche das kirchliche Gebiet nicht 
berührten. Unter peinlichster Wahrung aller in 
Wirtschaftsgenossenschaften — Wohlfahrtspflege. 
  
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den modernen Verhältnissen belangreichen Kom- 
petenzgrenzen wußte er mit großer Gewandtheit 
die mannigfaltigen Schwierigkeiten zu überwinden, 
welche der Vermittlung einer grundsätzlich un- 
anfechtbaren Stellungnahme mit der gebotenen 
Rücksicht auf die gegebene Sachlage gar oft ent- 
gegenstanden. 
In dieser Eigenart Windthorsts beruht das 
Geheimnis seiner Erfolge, beruht die ganz aus- 
nahmsweise einflußreiche Stellung, welche er sich 
in den Parlamenten eines in seiner weit über- 
wiegenden Bevölkerungsmehrheit nicht katholi- 
schen Landes zu erringen und zu sichern wußte. 
Nur in dem verständnisvollen Festhalten an den 
Windthorstschen Überlieferungen werden auch die 
Zentrumsfraktionen des deutschen Reichstags und 
des preußischen Abgeordnetenhauses die Position 
dauernd behaupten können, welche er an erster 
Stelle und mehr als irgend ein anderer diesen 
parlamentarischen Gruppen geschaffen hat. 
Literatur. Joh. Menzenbach, L. W. in seinem 
Leben u. Wirken, insbes. in seiner polit. Wirksam- 
keit (1892); J. N. Knopp, L. W., ein Lebensbild 
(1898). Die reichhaltigste W. biographie ist von 
Ed. Hüsgen, L.W. (21911). Kühl u. nüchtern ist der 
Art. „W.“ in der Allg. deutschen Biographie Bd 55, 
S. 97ff (1910) von F. Rachfahl, eine erweiterte 
Bearbeitung dieses Artikels befindet sich in den Del- 
brückschen Preuß. Jahrbüchern Bd 135 (1909) unter 
dem Titel „W. u. der Kulturkampf“. Vgl. auch den 
Art. von Finke, „Aus W.s jüngeren Tagen“, im 
Hochland, 8. Jahrg. 1910/11 459 ff. — Ausge- 
wählte Reden von W., gehalten 1851/91, in 3 Bdn 
(Osnabrück 1901/02). Jul. Bachem.) 
Wirtschaftsgenossenschaften s. Er- 
werbs= und Wirtschaftsgenossenschaften. 
Witwenversicherung s. Sozialversiche- 
rung (Nachtrag zu Bd V). 
Wohlfahrtspflege. Unter Wohlfahrts- 
bestrebungen verstehen wir die auf seelische 
Zufriedenheit und leibliches Wohlbehagen des 
Menschen hinzielenden Maßnahmen. Es handelt 
sich dabei um Herbeiführung desjenigen Zustands, 
der entsteht aus einem regelmäßigen und bestän- 
digen Zufluß derjenigen äußern Güter, welche 
nach Sitte, Gewohnheit und Anschauung der Ge- 
meinschaft, welcher jemand angehört, zum Leben 
notwendig sind. Es gehört dazu aber auch ein dem 
sittlichen Ziel des Menschen entsprechender Le- 
benswandel, vernünftige Gesundheitspflege 
sowie edler Entfaltung des Geistes= und Ge- 
mütslebens Rechnung tragende Lebensweise, 
verbunden mit dem Bewußtsein der Möglichkeit 
eines Emporsteigens auf der sozialen Stufenleiter. 
Um den Begriff „Wohlfahrtspflege“ festzu- 
stellen, genügt es jedoch nicht, die vorbezeichnete 
Definition der Wohlfahrt einfach mit dem Wort 
„Pflege“ in Verbindung zu bringen, sondern es 
kommen auf Grund der allmählich gebildeten An- 
schauungsweise bei der Bestimmung des Terminus 
„Wohlfahrtspflege“ noch mehrere andere Momente 
in Betracht. Demgemäß können wir sagen: man
	        
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