72 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903.
sein, als die britische Regierung unter diesem Vertrage etwas anderes
verstehen wollte als das, was er besagte. Es ließ sich nicht wegdeuteln,
daß die Transvaalrepublik unabhängig war mit der einzigen Einschränkung,
daß sie Berträge mit dritten Mächten (außer dem Oranjefreistaate) nicht
ohne stillschweigende Zustimmung der britischen Regierung schließen
durfte. Auf die deutsch-transvaalschen Beziehungen traf dieser Artikel
aber nicht zu, denn da sollte kein Vertrag geschlossen werden. Die Er-
haltung auch der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Transvaalrepublik
war kein Vorwand der deutschen Politik, sondern tatsächlich ihr Ziel. Die
Gründe dafür lagen ebenso klar zutage: Erhaltung und Stärkung der
wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Südafrika, die
nach britischer Aufsaugung der südafrikanischen Republiken schwer be-
einträchtigt werden würden. Dazu kam die Nähe der beiden deutschen
Kolonien in Afrika, möglicherweise auch der Gedanke, daß früher oder
später Portugal den Wunsch hegen könne, sich seiner Kolonien zu ent-
ledigen. Ein britisches Südafrika mußte allen deutschen Interessen zu-
widerlaufen. Auf Kosten Großbritanniens, seines Kolonialbesitzes und
seiner berechtigten Bestrebungen ging die deutsche Politik nicht, aber sie
stand in schroffem Gegensatze zu Bestrebungen, die das amtliche Groß-
britannien damals nicht offen bekennen wollte, die es aber eifrig durch
Cecil Rhodes und seine Helfer fördern ließ. Anderseits nahmen die
deutschen wirtschaftlichen Interessen in Südafrika damals stark zu, der
deutsche Handel, die deutsche Kapitalbeteiligung an öffentlichen Unter-
nehmungen in und nach den Burenrepubliken wuchs sichtlich und erregte
in gleichem Maße die Unruhe und Eifersucht der Engländer.
Freiherr v. Marschall und Fürst Hohenlohe waren der irrigen Über—
zeugung, das Fehlen eines vertraglichen und sachlichen Rechtes würde
Großbritannien veranlassen, wie ein Fahr vorher beim Kongovertrage,
auf deutschen Widerstand hin seine Ansprüche und Politik aufzugeben.
An den südafrikanischen Republiken nahmen 1895 die Oinge rasch
ihren Berlauf. Im Frühjahr wurde ein mit England geschlossener Ver-
trag wegen des Swasilandes vom Volksraad genehmigt und das Gebiet
dem Vertrage gemäß von den Buren besetzt. Von dort aus konnten die
Buren den Ozean erblicken, nur ein schmaler Landstreifen trennte sie von
der Küste: die Gebiete zweier Häuptlinge am Pongolaflusse. Der Prä-
sident Krüger wandte sich an den britischen Gouverneur des Kaplandes
mit der Bitte, diese Gebiete in Besitz nehmen zu dürfen. Sie wurde ab-
geschlagen; England könne dann nicht die britischen Interessen im Swasi-
lande kontrollieren und schützen. Ungesäumt legte Großbritannien — das
amtliche — selbst die Hand auf die Pongolagebiete, obgleich es noch 1889
die Rechte der südafrikonischen Republik auf sie anerkannt batte, Ende