Boxerkrieg und Vangtse-Vertrag. 163
in China zum Appell an den Aberglauben des Volkes benutzt wurden.
Im Sommer 1899 schrieb eine chinesische Zeitung: „China ist heute auf
dem Punkte angelangt, daß es in Stücke geben wird wie ein irdener
Copf; es schwebt in derselben Gefahr, in Stücke zu brechen wie Eier,
die man aufeinander häuft.“
Lokale Unruhen mit fremdenfeindlicher Spitze waren nichts Un-
gewöhnliches und ebensowenig, daß diese sich auf der Basis geheimer
Gesellschaftsbildung entwickelten und betätigten. Im Januar 1900 wur-
den die Gesandtschaften der Mächte in Peking zuerst ernstlich aufmerk-
sam auf eine Bewegung in der Provinz Tschili (die Hauptstadt des Chi-
nesischen Reiches, Peking, ist in dieser Provinz gelegen). Man maß zu-
nächst der Sache eine ernstere Bedeutung um so weniger bei, als im Jahre
1899 ähnliche Bewegungen, Unruhen in der Provinz Schantung, ohne be-
sondere Mühe erstickt worden waren. An der Küste von Schantung liegt
bekanntlich das deutsche Pachtgebiet von Kiautschou. Die Besitznahme
dieser Bucht, die Vorarbeiten zu einem Bahnbau ins Innere waren
von den beiden chinesischen Geheimgesellschaften „Die rote Faust“ und
„Das große Messer“ zur Hetze gegen Oeutschland und die Oeutschen be-
nutzt worden. Der deutsche Gouverneur von Kiautschou und der chine-
sische Generalgouverneur von Schantung, der später so berühmt ge-
wordene ZJuanschikai, waren mit Leichtigkeit der Bewegung Herr ge-
worden und sahen etwaigen Wiederholungen mit Ruhe entgegen.
Zn Tschili schwoll die Bewegung jedoch so schnell an, daß Ende Ja-
nuar 1900 die Vertreter der Mächte bei der chinesischen Regierung Vor-
stellung erhoben und verlangten, daß diese „Die rote Faust“ und „Das
große Messer“ als staatsgefährlich und fremdenfeindlich bezeichnen und
ihre Mitglieder als dem Gesetze verfallen erklären sollte. Oie chinesische
Regierung suchte die Verhandlungen in die Länge zu ziehen und ließ
sich erst nach starkem Drucke auf ein entsprechendes Edikt ein, ohne freilich
auch die „Gesellschaft vom großen Messer“ zunächst für gesetzwidrig zu er-
klären. Wie spätere Ereignisse und Enthüllungen gezeigt haben, stand
die Regierung, vor allem die Kaiserin-Mutter, durchaus auf der Seite
der fremdenfeindlichen Bewegung und unterstützte sie heimlich. Der
Aufruhr wuchs infolgedessen, überall in Cschili zogen Banden umher,
zerstörten christliche Kirchen und zeigten immer deutlicher ihren fremden--
feindlichen Charakter. Schließlich besetzten sie die beiden Bahnstrecken,
welche Peking mit seinem Hafen Tientsin und Paotingfu verbinden,
und bedrohten Peking. Der chinesischen Regierung begann die Sache
nun unheimlich zu werden wegen der in Peking angesessenen Fremden
und hauptsächlich der Gesandtschaften. Die Gesandten beantragten nun-
mehr bei ihren Regierungen, daß ihnen von den Besatzungen der an der
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