164 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 18986—1903.
Küste liegenden Kriegsschiffe Schutzdetachements gesandt würden. Oiese
trafen auch ein. Weil man ferner fürchtete, die Berbindung von Peking
nach der See würde ganz zerstört werden, da der Eisenbahnverkehr unter-
brochen und die Telegraphenlinien zerstört waren, so erhielten die Ge-
schwaderchefs Weisung von ihren Regierungen, für die Aufrechterhaltung
der Verbindung mit Peking zu sorgen. Inzwischen taten die Regierung
und die Kaiserin-Mutter kurze Zeit so, als ob sie gegen die Aufrührer
vorgehen wollten, und das war der Grund, daß der deutsche Gesandte
eine weitere Verstärkung des Schutzdetachements für unnötig erklärte
und es anwies, in Tientsin zu bleiben. Wenige Tage nachher wurde
der Gesandte Freiherr v. Kettler in Peking auf der Straße erschossen.
Zugleich war Peking tatsächlich von allen Berbindungen nach außen
abgeschnitten. Es folgte die vergebliche Expedition der vereinigten Lan-
dungskorps unter dem Befehle des englischen Admirals Sepmour, um
bis nach Peking vorzudringen. Auch in Tientsin gestaltete sich die Lage
immer gefährlicher, und nur der Erfolg der Einnahme der Forts bei
Taku — es sei an die Namen „Iltis“ und Kapitän Lans erinnert — ge-
stattete, nach scharfen Kämpfen Tientsin zu entsetzen. Alle Mächte ent-
sandten nun so schnell wie möglich mehr Kriegeschiffe mit verstärkten
Landungskorps, außerdem in weiterer Folge Truppen auf Transport-
dampfern, die aus freiwilligen Angehörigen der Armee gebildet waren.
Oer militärische BVerlauf ist bekannt, und es liegt außerhalb des
Rahmens unserer Betrachtungen, näher auf ihn einzugehen. Von poli-
tischem Interesse war lediglich die Frage des Oberkommandos der inter-
nationalen Truppen. Der Feldmarschall Graf Waldersee hat bekanntlich
diesen Oberbefehl geführt, und es ist seinerzeit viel darüber gestritten
worden, ob die Anregung dazu vom Oeutschen Kaiser oder vom Zaren
ausgegangen sei. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich die Sache derart
abgespielt, daß zunächst der Deutsche Kaiser sich rein persönlich und ver-
traulich mit dem Zaren über die Frage eines gemeinsamen Oberkom-
mandos in Verbindung gesetzt hat und daß als Folge dieses Gedanken-
austausches die amtliche und öffentliche Anregung eines deutschen Ober-
kommandos vom Zaren ausgegangen ist. Der Deutsche Reichskanzler
erklärte sich folgendermaßen: „Der Gedanke eines deutschen Oberbefehls
beruhte auf einer von außen her auf amtlichem Wege an uns gelangten
Anregung. Mehr, meine Herren, kann ich nicht sagen, weil es sich handelt
um einen Gedankenaustausch zwischen Souveränen und Staatsober--
häuptern, und ganz abgesehen davon gibt es auch Fälle, wo mir das
Staateinteresse ein Schloß vor den Mund legt.“ Ein anderes Mal ver-
sicherte der Kanzler, daß man deutscherseits die Truppen gern einem
fremden Oberbefehl unterstellt hätte, besonders habe man diesen Wunsch