184 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903.
Erhaltung des Status quo in Ostasien zur Aufgabe. Oanach schien der
Kanzler die Möglichkeit von Geheimartikeln anzudeuten.
So sah man die ostasiatische Politik der Mächte auf scheinbar feste
Gleise geführt. Als geschichtliches Ereignis aber war zu verzeichnen,
daß Großbritannien aus seiner Bereinzelung heraustrat, ein Bündnis
abschloß, und zwar mit Japan, an dessen Bündnisfähigkeit bisher noch
keine europäische Macht gedacht hatte. Japans politische und diploma-
tische Bedeutung gewann damit unmittelbar erbeblich, auch ohne daß
man sich damals über seine tatsächliche Kraft im klaren war.
Großbritannien befestigte sich damit im fernen Osten gegen Rußland
und verbesserte allgemein sonst in der Welt seine Stellung ungemein.
„Zur Erhaltung des Friedens“, so pflegt der Zweck aller Bündnisse
und Abkommen von ihren Schließern bezeichnet zu werden. Dieses, das
britischjapanische Bündnis, konnte man, ohne seinen Urhebern unrecht
zu tun, als ein Kriegsbündnis bezeichnen.
Die großen ostasiatischen Ziele der Politik Rußlands lagen schon
seit Jahren klar zutage. Hätte nichts vorgelegen wie die südliche Ab-
zweigung der sibirischen Bahn durch die Mandschurei nach Port Arthur,
so würde das genügt haben, um zu erkennen, daß ein Konflikt zwischen
Rußland einerseits, Großbritannien und Japan anderseits nur eine Frage
der Zeit sein konnte. Außerden handelte es sich keineswegs nur um eine
politische und wirtschaftliche Durchdringung der Mandschurei, der Halb-
insel Kwantung und Koreas, sondern auch um die Seeherrschaft im Gelben
Meere, in der Japanischen See und damit in der Meerenge von Korea,
welche diese beiden Gewässer verbindet. Der russische Plan war klar:
weiterer Ausbau des nördlichen Hafens Wladiwostok, schleunigste Aus-
gestaltung im großen Stile des 1898 gepachteten Port Arthur, Aeuer-
werbung eines oder mehrerer Häfen der Halbinsel Korea. Die ganze
russische Flotte, soweit sie als modern und kampfkräftig betrachtet wurde,
sollte dauernd in den ostasiatischen Gewässern liegen und, gestützt auf
die beiden genannten Basen, die Lage beherrschen. Hier lag der zweite
Konfliktopunkt zwischen Rußland und Großbritannien. Keine britische
Regierung konnte zugeben, daß eine fremde Macht — und gar Ruß-
land! — die Seeherrschaft in Gewässern von solcher Bedeutung erlangte
und dauernd innehielt. Auch deshalb war es für Großbritannien ein
harter Schlag, als man erkennen mußte, daß das Deutsche Reich andere
Wege ging als die, auf welchen das Londoner Kabinett es zu seben so
heiß wünschte. Wäre es gelungen, Mißtrauen und tiefe Gegensätze zwi-
schen das Deutsche Reich und Rußland zu bringen, so hätten gerade wäh-
rend dieser kritischen Periode die russischen Staatsmänner wahrscheinlich
Bedenken getragen, die baltischen Küsten des Russischen Reiches von