Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

184 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
Erhaltung des Status quo in Ostasien zur Aufgabe. Oanach schien der 
Kanzler die Möglichkeit von Geheimartikeln anzudeuten. 
So sah man die ostasiatische Politik der Mächte auf scheinbar feste 
Gleise geführt. Als geschichtliches Ereignis aber war zu verzeichnen, 
daß Großbritannien aus seiner Bereinzelung heraustrat, ein Bündnis 
abschloß, und zwar mit Japan, an dessen Bündnisfähigkeit bisher noch 
keine europäische Macht gedacht hatte. Japans politische und diploma- 
tische Bedeutung gewann damit unmittelbar erbeblich, auch ohne daß 
man sich damals über seine tatsächliche Kraft im klaren war. 
Großbritannien befestigte sich damit im fernen Osten gegen Rußland 
und verbesserte allgemein sonst in der Welt seine Stellung ungemein. 
„Zur Erhaltung des Friedens“, so pflegt der Zweck aller Bündnisse 
und Abkommen von ihren Schließern bezeichnet zu werden. Dieses, das 
britischjapanische Bündnis, konnte man, ohne seinen Urhebern unrecht 
zu tun, als ein Kriegsbündnis bezeichnen. 
Die großen ostasiatischen Ziele der Politik Rußlands lagen schon 
seit Jahren klar zutage. Hätte nichts vorgelegen wie die südliche Ab- 
zweigung der sibirischen Bahn durch die Mandschurei nach Port Arthur, 
so würde das genügt haben, um zu erkennen, daß ein Konflikt zwischen 
Rußland einerseits, Großbritannien und Japan anderseits nur eine Frage 
der Zeit sein konnte. Außerden handelte es sich keineswegs nur um eine 
politische und wirtschaftliche Durchdringung der Mandschurei, der Halb- 
insel Kwantung und Koreas, sondern auch um die Seeherrschaft im Gelben 
Meere, in der Japanischen See und damit in der Meerenge von Korea, 
welche diese beiden Gewässer verbindet. Der russische Plan war klar: 
weiterer Ausbau des nördlichen Hafens Wladiwostok, schleunigste Aus- 
gestaltung im großen Stile des 1898 gepachteten Port Arthur, Aeuer- 
werbung eines oder mehrerer Häfen der Halbinsel Korea. Die ganze 
russische Flotte, soweit sie als modern und kampfkräftig betrachtet wurde, 
sollte dauernd in den ostasiatischen Gewässern liegen und, gestützt auf 
die beiden genannten Basen, die Lage beherrschen. Hier lag der zweite 
Konfliktopunkt zwischen Rußland und Großbritannien. Keine britische 
Regierung konnte zugeben, daß eine fremde Macht — und gar Ruß- 
land! — die Seeherrschaft in Gewässern von solcher Bedeutung erlangte 
und dauernd innehielt. Auch deshalb war es für Großbritannien ein 
harter Schlag, als man erkennen mußte, daß das Deutsche Reich andere 
Wege ging als die, auf welchen das Londoner Kabinett es zu seben so 
heiß wünschte. Wäre es gelungen, Mißtrauen und tiefe Gegensätze zwi- 
schen das Deutsche Reich und Rußland zu bringen, so hätten gerade wäh- 
rend dieser kritischen Periode die russischen Staatsmänner wahrscheinlich 
Bedenken getragen, die baltischen Küsten des Russischen Reiches von
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.