254 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908.
ganz anderes Kampfwerkzeug sein werde als eine französische und ruf-
sische. Nach Faschoda war Großbritannien wieder die unbestrittene Ge-
bieterin der europäischen Küsten und Meere geworden, und gerade in
diesem so lange erstrebten Augenblicke wuchs die deutsche Flotte em-
por. Man konnte den Arger begreifen, aber man begriff in Deutschland
nicht, daß das Naturrecht eines unabhängigen Staatee, sich eine Flotte
zu bauen, auf der anderen Seite der Nordsee nicht anerkannt wurde. —
Zugrunde lag überdies die allgemeine britische Handelseifersucht, und
der Zorn auf den deutschen Flottenbau war für die Inspiratoren der
antideutschen Agitation nur ein verlogener Vorwand.
Es ist so oft und viel in Deutschland darüber gesprochen und ge-
schrieben worden, ob die britische Regierung in jenen Zahren (1904/05)
die Absicht gehabt hat, Deutschland anzugreifen. Will man diese Frage
erörtern, so ist nicht möglich, von einem Gesamtbegriff „Großbritannien“
zu sprechen. Die Regierung, das Kabinett, hat den Gedanken ernstlich
erwogen, und zwar wiederholt, ist aber nicht zu einem festen, einigen
Entschlusse gekommen, denn sonst hätte man ja nur vom Vorsatz zur Tat
schreiten brauchen. Anderseits kann es kaum einem Zweifel unterliegen,
daß in der Admiralität Kräfte tätig waren, die ernstlich an einen Präven-
tiokrieg gegen Deutschland dachten. Man ging einfach von der Uberlegung
aus, daß die deutsche Flotte den britischen Interessen in jedem Sinne
entgegenstände, mit jedem JZahre größer und stärker werde. Deshalb
sei e5 gegeben, die deutsche Flotte zu vernichten, solange man es noch
ohne Risiko und großen Kraftaufwand könne. Dem ersten Seelord, Sir
Zohn Fisher, der jahrelang die treibende Kraft der Admiralität gewesen
ist, wurde der Ausspruch nachgesagt: er hoffe lange genug zu leben, um
die Vernichtung der deutschen Flotte zu sehen. Ob wahr oder nicht: dieses
Wort kennzeichnete die damalige Richtung in der Admiralität, im See-
offizierkorps und einem Teile des Kabinettes. Die politischen Leiter
— gar nicht zu reden von Lord Salisbury — Balfour und nach ihm das
liberale Kabinett Campbell-Bannerman mit ihren auswärtigen Mi-
nistern Lord Lansdowne und Sir Edward Grey dürften damals kaum
einen Krieg erstrebt haben, anderseits scheuten sie ihn nicht und hielten
ihn, wie wir sehen werden, in gewissen, von ihnen provozierten Lagen
für wünschenswert. Die Admiralität und das Seeoffizierkorps standen
mit ihrer Kriegslust keineswegs allein, sie hatten im BVolke, in Presse und
Parlament, in den maritimen und imperialistischen Vereinen, nicht zum
wenigsten auch in den Kreisen des Handels und der Industrie sehr starken
Rückhalt. Selbst da, wo man nicht durch Haß und Verstimmung geblendet
war, und wo man an phantastische deutsche Angriffspläne nicht glaubte,
machte man sich die Frage rechnerisch klar: es sei besser, gleich einen leichten