Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

254 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
ganz anderes Kampfwerkzeug sein werde als eine französische und ruf- 
sische. Nach Faschoda war Großbritannien wieder die unbestrittene Ge- 
bieterin der europäischen Küsten und Meere geworden, und gerade in 
diesem so lange erstrebten Augenblicke wuchs die deutsche Flotte em- 
por. Man konnte den Arger begreifen, aber man begriff in Deutschland 
nicht, daß das Naturrecht eines unabhängigen Staatee, sich eine Flotte 
zu bauen, auf der anderen Seite der Nordsee nicht anerkannt wurde. — 
Zugrunde lag überdies die allgemeine britische Handelseifersucht, und 
der Zorn auf den deutschen Flottenbau war für die Inspiratoren der 
antideutschen Agitation nur ein verlogener Vorwand. 
Es ist so oft und viel in Deutschland darüber gesprochen und ge- 
schrieben worden, ob die britische Regierung in jenen Zahren (1904/05) 
die Absicht gehabt hat, Deutschland anzugreifen. Will man diese Frage 
erörtern, so ist nicht möglich, von einem Gesamtbegriff „Großbritannien“ 
zu sprechen. Die Regierung, das Kabinett, hat den Gedanken ernstlich 
erwogen, und zwar wiederholt, ist aber nicht zu einem festen, einigen 
Entschlusse gekommen, denn sonst hätte man ja nur vom Vorsatz zur Tat 
schreiten brauchen. Anderseits kann es kaum einem Zweifel unterliegen, 
daß in der Admiralität Kräfte tätig waren, die ernstlich an einen Präven- 
tiokrieg gegen Deutschland dachten. Man ging einfach von der Uberlegung 
aus, daß die deutsche Flotte den britischen Interessen in jedem Sinne 
entgegenstände, mit jedem JZahre größer und stärker werde. Deshalb 
sei e5 gegeben, die deutsche Flotte zu vernichten, solange man es noch 
ohne Risiko und großen Kraftaufwand könne. Dem ersten Seelord, Sir 
Zohn Fisher, der jahrelang die treibende Kraft der Admiralität gewesen 
ist, wurde der Ausspruch nachgesagt: er hoffe lange genug zu leben, um 
die Vernichtung der deutschen Flotte zu sehen. Ob wahr oder nicht: dieses 
Wort kennzeichnete die damalige Richtung in der Admiralität, im See- 
offizierkorps und einem Teile des Kabinettes. Die politischen Leiter 
— gar nicht zu reden von Lord Salisbury — Balfour und nach ihm das 
liberale Kabinett Campbell-Bannerman mit ihren auswärtigen Mi- 
nistern Lord Lansdowne und Sir Edward Grey dürften damals kaum 
einen Krieg erstrebt haben, anderseits scheuten sie ihn nicht und hielten 
ihn, wie wir sehen werden, in gewissen, von ihnen provozierten Lagen 
für wünschenswert. Die Admiralität und das Seeoffizierkorps standen 
mit ihrer Kriegslust keineswegs allein, sie hatten im BVolke, in Presse und 
Parlament, in den maritimen und imperialistischen Vereinen, nicht zum 
wenigsten auch in den Kreisen des Handels und der Industrie sehr starken 
Rückhalt. Selbst da, wo man nicht durch Haß und Verstimmung geblendet 
war, und wo man an phantastische deutsche Angriffspläne nicht glaubte, 
machte man sich die Frage rechnerisch klar: es sei besser, gleich einen leichten
	        
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