260 Z. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1905—1908.
ein Ereignis, das, an sich schon höchst bedeutend, gerade in der Span-
nung jener Zeit ungeheures Aufsehen in der ganzen politischen Welt
erregte.
Als nächste Folge des Kaiserbesuches wurde schon in den ersten Tagen
des April ein deutsch-marokkanisches Abkommen über die Küstenschiff-
fahrt in den marokkanischen Gewässern abgeschlossen.
Zn Frankreich erregte dieses Auftreten der deutschen Politik teils
Wut und lärmende Erbitterung, teils lebhafte Unruhe. Am Tage des
Kaiserlichen Tangerbesuches verteidigte Delcassé in einer langen Rede
seine Marokkopolitik und wies hauptsächlich hin auf die Notwendigkeit
und Pflichten Frankreichs als Grenznachbar Marokkos (in Algier) und
behauptete, daß der Text des französisch-englischen Abkommens keinerlei
Mißverständnis zulasse. Die Unabhängigkeit und Integrität Marokkos
wären durchaus vereinbar mit Eingriffen und Sondermaßnahmen Frank-
reichs. „Ich habe niemals ein Hehl daraus gemacht, daß es sich um eine
große und delikate Aufgabe handelt, daß Zwischenfälle kommen würden,
um ihre Durchführung zu durchkreuzen; ist das nicht aber das Verhängnis
eines jeden großen Unternehmens?“ Ourch Widerstände in Fes dürfe
man sich nicht irremachen lassen. Wiederholt betonte der Minister, die
Lage sei nicht beunruhigend, man mühsse durchhalten. ODelcassé erklärte
ferner auf Anfragen, er habe dem deutschen Botschafter Mitteilungen
über das Abkommen gemacht und später ihm und dem französischen Bot-
schafter in Berlin mitteilen lassen, daß er bereit wäre, Mißverständnisse
zu zerstreuen und seine biöherigen Mitteilungen zu vervollständigen. Die-
sen und ähnlichen Behauptungen gegenüber erklärte die halbamtliche
deutsche Presse, Delcassé habe sich dem deutschen Botschafter Fürsten
Radolin gegenüber nur „im Nahmen allgemeiner und unverbindlicher
Betrachtungen geäußert“. Da eine amtliche Mitteilung fedblte, so konn--
ten die deutschen Regierungsvertreter in Berlin und Paris den Gegen-
stand amtlich auch nicht erörtern.
In der französischen Kammer hatte Oelcassé jedoch jene Mitteilung
gemacht, und Fürst Bülow erließ daraufbhin kurz vor Mitte April ein Schrei-
ben an verschiedene deutsche Auslandsvertretungen, des Inhaltes: es
sei falsch, daß das französisch-englische Marokkoabkommen der deutschen
Regierung schriftlich oder mündlich zur Kenntnis gebracht worden sei.
Delcassé habe dem deutschen Botschafter gegenüber nur allgemeine An-
deutungen über unhaltbare Zustände in Marokko, Notwendigkeit ener-
gischer Maßnahmen und ähnliches gemacht. Auf diese Note hin besuchte
Delcassé den deutschen Botschafter und gab diesem zu, daß ihre damalige
Unterhaltung keinen amtlichen Charakter gehabt habe. Oelcassé habe
geglaubt, es sei nicht nötig, das Abkommen nach Berlin hin amtlich mit-