Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

266 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
Der deutsche Botschafter antwortete beinahe gleichlautend, und 
beide erließen dann eine gemeinsame Erklärung, daß die deutsche und 
die französische Regierung unmittelbar nach Zusammentritt der Kon- 
ferenz ihre Gesandten aus Fes nach Tanger zurückberufen würden (um 
parteiische Einflußnahmen während dieser Zeit auszuschließen). Ferner 
wollten beide Regierungen gemeinsam durch ihre BVertreter dem Sultan 
zur Hand gehen, um das Konferenzprogramm aufzustellen. 
Die Krisis und Spannung zwischen den beiden Regierungen war 
also vorläufig gelöst, und die Lösung datierte wohl schon kurz vor dem 
Rücktritte Delcassés, wenngleich sie definitiv erst mit dem Rücktritte dieses 
Staatsmannes Platz griff. 
Die beiden Konferenzen: Algeciras und Haag. 
Die spätere Entwicklung und der endliche Abschluß der Marokko- 
angelegenheit machen es notwendig, daß der Beurteiler der politischen 
Geschichte jener Zeit über die politischen Motive, ob diese nun zu Hand- 
lungen oder zu Unterlassungen führten, klar sei. Für uns steht die Politik 
des Oeutschen Reiches an erster Stelle. Daraus ergibt sich die Frage: 
Wie war diese im großen und ganzen gerichtet? 
Die europäische Lage war in den Jahren 1904 und 1905 eine ganz 
andere wie noch kurz vorher. Seit dem Februar 1904 kämpften Rußland 
und Japan im fernen Osten, und das Schwergewicht der russischen Macht 
in Europa war sehr wesentlich leichter geworden und wäre in einem großen 
europäischen Kriege nur wenig, wenn überhaupt, in Betracht gekommen. 
Der französisch-russische Zweibund war mithin bis zu einem hohen Grade 
außer Funktion und Wirkungsmöglichkeit gesetzt worden. Der Zweifronten-- 
krieg für das Deutsche Reich war aus einer greifbaren Möglichkeit zu einem 
wesenlosen Gespenste geworden, Frankreich stand zu Lande annähernd 
allein, während Rußland das größte Interesse hatte und wohl auch diplo- 
matisch gezeigt hat: das Deutsche Reich in einer freundschaftlichen lopalen 
Neutralität zu halten und dem östlichen Nachbar während seines von An- 
fang an unglücklich verlaufenden Kampfes in Ostasien Sicherheit an seiner 
europäischen Flanke zu geben. Das Deutsche Reich hat diese Lopalität 
unverbrüchlich betätigt, Osterreich-Ungarn tat das gleiche. Für beide 
europäischen Zentralmächte ist dieses Verhalten vom sittlichen Stand- 
punkte rühmlich, vom politischen wahrscheinlich wenig klug gewesen. 
Das Verhalten Frankreichs während des Russisch-Zapanischen Krieges 
erregte in Rußland vielfach Mißstimmung. Man erkannte zwar an, daß 
Frankreich und seine Politik nicht im Widerspruche zu Großbritanniens 
Willen arbeiten könne, am allerwenigsten über See, aber ein Gefühl der
	        
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