Vierter Abschnitt.
Marokko und Balkan als Angelpunkte
der Einkreisung.
1908—1914.
Orientpolitik und Bosnische Krisis.
Oie alte politische und wirtschaftliche Wahrheit, daß nur kräftige und
zielbewußte Regsamkeit, einerlei, ob sie Schwierigkeiten schafft oder nicht,
Erfolg und Ansehen bringt, hatte das Deutsche Reich im Orient erfahren.
Eine aktive Orientpolitik bildete einen der großen Gedanken, welche mit
dem Regierungsantritte Kaiser Wilhelms II. in das Leben des Deutschen
Reiches eintraten. Dieser Gedanke und das dauernde Streben, ihn inner--
balb der jeweiligen Grenzen der praktischen Möglichkeit zu verwirklichen,
bat nicht ebenso aber doch ähnlich wie der Gedanke einer starken deutschen
Seemacht von 1888 bis 1914 eine der Hauptrichtlinien der deutschen Wirt-
schaft und Politik gebildet. Gewiß war an sich dieser Gedanke nicht neu,
und bedeutende Geister wie Friedrich List, Moltke, Leopold v. Ranke u. a.
haben vor langer Zeit auf die wirtschaftspolitische Wichtigkeit des Orients
hingewiesen. Schon für jeden aufmerksamen Betrachter der Landkarte
mußte sich aufdrängen, daß für das in Mitteleuropa eingeschlossene Deutsche
Reich bier der einzige wirtschaftliche Luslaß und große unermeßliche Per-
spektiven sich boten. Hierhin lag eine Möglichkeit ausgreifender Welt-
politik und Weltwirtschaft, wenn man sie richtig anfaßte. Das Oeutsche Reich
grenzt weder, wie Rußland, zu Lande an die Türkei, noch besaß es eine
gesicherte Seeverbindung nach den türkischen Häfen wie Großbritannien
und Frankreich. Dazwischen lag Ssterreich-Ungarn und zwischen Osterreich-
Ungarn und der europäischen Türkei lagen, wenn damals auch geographisch
noch nicht vollständig, wohl aber ihren Bestrebungen nach, die Balkan-
staaten. Aus der politischen Geographie ging mithin ohne weiteres hervor,
daß eine erfolgreiche deutsche Orientpolitik um so erfolgreicher sein mußte,
je intimer das deutsch-österreichischungarische Verhältnis war, außerdem
daß beide Mächte Interesse an der Erhaltung des bestehenden Zustandes