Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Potsdam — Agadir — Tripolis. 1909—1912. 385 
Kriege und die ihnen drohenden Gefahren die sogenannte Besserung der 
deutsch-englischen Beziehungen, wie „Verständigung“, in die erste Linie 
stellten und die Ansicht zum #lusdruck brachten, daß sich nach einer Besserung 
bier alles andere von selbst ergeben würde. Das war eine bedauerliche Un- 
kenntnis der englischen Geschichte, der Gebräuche des Seekrieges, ihrer 
Wirkung auf den Handel und vor allem der wahren Art der englischen Amn- 
schauung wie des englischen Charakters. 
Oiese zahlreichen, auf grober Berkennung beruhenden Hoffnungen und 
guten Wünsche wurden die Bäter ebenso vieler politischer Gedanken, und 
diese Gedanken waren nicht gut. 
Potsdam — Agadir — Tripolis. 1909—1912. 
Zm Sommer des Jahres 1909 trat Herr v. Bethmann Hollweg als 
Reichskanzler an die Stelle des Fürsten Bülow. In der Geschichte der 
auswärtigen Politik des Deutschen Reiches beginnt hiermit ein Um- 
schwung und eine neue Periode. Während die Bülowsche Politik im Zeichen 
des Gedankens und des Bestrebens stand, eine Politik der freien Hand zu 
treiben und sich nach keiner Seite hin zu binden oder in Abhängigkeit zu 
bringen, dabei dem großen ursprünglichen Leitgedanken des Oeutschen 
Kaisers folgend, mit tunlicher Energie dem Deutschen Reiche eine starke 
Kriegsflotte zu schaffen, vertrat Herr v. Bethmann Hollweg den politischen 
Gedanken, daß das Ziel der deutschen Politik in erster Linie sein müsse, sich 
die Neutralität Großbritanniens für einen Festlandskrieg versichern zu lassen. 
Fürst Bülow erfreute sich außerordentlichen Mißtrauens, ja eines tiefen 
Hasses in Großbritannien. Man erblickte in ihm einen Mann, der nicht geneigt 
sei, etwas im deutschen Sinne Wesentliches aufzugeben, um das Wohl- 
wollen Englands zu erlangen. Fürst Bülow hat im Reichstage während seiner 
Amtsführung wieder und wieder programmatisch betont, man könne sich mit 
England wohl in dieser oder jener Frage verständigen, und das bedeute an 
und für sich schon viel, das Deutsche Reich sei aber in keiner Weise mehr auf 
England angewiesen, wie England auf das Deutsche Reich. Die Stellung- 
nahme ferner des Fürsten Bülow zu den englischen Rüstungseinschränkungs- 
absichten für 1907 auf der Haager Konferenz wurde in Großbritannien 
erneut übel empfunden, und der diplomatische Sieg des Deutschen Kanzlers 
in der Bosnischen Krisis war selbstverständlich nicht geeignet, das groß- 
britannische Wohlwollen gegen den Kanzler zu erhöhen. Die englische 
Presse hat wiederbolt erklärt, Fürst Bülow sei nicht vertrauenswürdig. 
Der Reichskanzler Fürst Bülow hat die Geschicke des Deutschen Reiches 
in einer schwierigen und gefährlichen Periode verantwortlich geleitet. In 
den früheren Abschnitten ist mit abweichendem Urteile über seine poli- 
Graf Reventlow, Heutschlande auswärtige Polltie. 25
	        
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