Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

390 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
chisches Gebiet herum in das Land von Österreichs Bundesgenossen ein 
ebenfallo sprechender Beweis für die zum mindesten kühle Gesinnung 
Italiens diesem seinem Bundesgenossen gegenüber. 
Zmmerdhin hielten die leitenden russischen Kreise, nachdem so die neue 
Lage scharf betont worden war, für zweckmäßig, im Laufe der folgenden 
Monate eine äußerliche Besserung der Beziehungen zu ÖOsterreich-Ungarn 
eintreten zu lassen. Es ist anzunehmen, daß dabei das Deutsche Reich mit 
besonderem Eifer zu vermitteln, zu versöhnen und zu glätten bemüht ge- 
wesen ist. Im Frühjahr 1910 wurde von Petersburg aus veröffentlicht, 
daß die russische und die österreichisch- ungarische Regierung zu voller 
Übereinstimmung hinsichtlich der Balkanangelegenheiten gelangt seien: in 
Gestalt der Llufrechterbaltung des Status quo, der Förderung des Wohles 
der Balkanstaaten und der neuen Entwicklung in der Türkei. — Dieses 
Programm war an und für sich nichtssagend, außerdem derart vieldeutig 
angesichts der bekannten russischen Ziele, daß sich als tatsächlich eben nur 
der Wunsch ergab, äußerlich ein leidlich beruhigtes Verhältnis herzu- 
stellen. Heute sind die Motive dieser Haltung ziemlich klar erkennbar: Ruß-- 
land war für den kommenden großen Konflikt auf Jahre hinaus noch nicht 
genügend gerüstet, man hatte gesehen, daß ohne Vorhandensein einer 
solchen Rüstung die Mittelmächte nicht durch Bluff hatten eingeschüchtert 
werden können. Es hatte also keinen praktisch vertretbaren Zweck, in der 
Zwischenzeit weiter eine Politik der Gereiztheit und einer solchen, die 
Krisen hervorrief, zu treiben. Deshalb war man auch mit Iswolski unzu- 
frieden, dessen Empfindlichkeit und Rachsucht ob seiner diplomatischen 
Niederlage einen zu persönlichen Charakter gegen den Freiherrn v. Aehren- 
thal angenommen hatte, als daß dies mit dem großen Plane der russi- 
schen Politik: in Ruhe rüsten und warten! — in Einklang zu bringen 
gewesen wäre. Zswolski ging als Botschafter nach Paris und bildete 
dort fortan eine stark treibende Kraft in der Förderung aller deutsch- 
feindlichen Bestrebungen einerseits, aller Bestrebungen zur Befestigung der 
Beziehungen zwischen Rußland, Frankreich und Großbritannien anderseits. 
Zar Nikolaus hat in der Tat damals wohl den Wunsch gebabt, wieder 
freundschaftliche Beziehungen von Aufrichtigkeit zwischen seinem und dem 
deutschen Kaiserhause herzustellen. Dieser persönliche Wunsch begegnete 
sich mit den angedeuteten Plänen der russischen Regierung. Diese glaubte 
außerdem zweckmäßig den beiden Ententegenossen, Frankreich und Groß- 
britannien, nahezulegen, daß Rußland in der Bosnischen Krisis nicht ge- 
nügende Unterstützung gefunden habe, daß es von ihnen durchaus nicht 
abhängig sei und nötigenfalls „auch anders könne“. Zu diesen Erwä- 
gungen trat die weitere, daß es vorteilhaft wäre, mit dem Deutschen Reiche 
über die Verhältnisse in Nordpersien zu einem Einverständnisse zu gelangen,
	        
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