Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

2 1. Abschnitt. Bon Rußland zu Großbritannten. 1887—1894, 
  
näherungsbestrebungen ergeben. Das war auch tatsächlich der Fall. Die 
Anfänge dieser Annäherung reichen weiter zurück, als gemeinbin an- 
genommen wird. Den Gedanken einer russisch-französischen Entente, ja 
eines Bündnisses, brachte schon Fürst Gortschakow mit nach St. Petersburg, 
als er 1878 voll Eifersucht und Erbitterung gegen Bismarck und dessen 
Politik vom Berliner Kongresse zurückkehrte. Er hat diesen Entente- 
gedanken auch verschiedene Male ausgesprochen. Der russische Reichs- 
kanzler erklärte, mit dem Zwecke der Veröffentlichung, im Herbst 1879 — 
beinahe genau vier Wochen vor der Unterzeichnung des deutsch-öster- 
reichischen Bündnisses — einem französischen Journalisten: in Europa 
sei eine neue politische Konstellation möglich geworden: Frankreich 
brauche nur stark zu sein, damit Rußland ein Bündnis mit ihm suche. 
Zene russisch-deutschen Mißstimmungen und die aus ihnen sich ge- 
legentlich ergebende Politik pflegt man vielfach noch mit der Eifersucht 
des Fürsten Gortschakow zu begründen. Daß diese vorhanden war und 
sich politisch auszuleben versuchte, ist nicht zweifelbaft. Der wachsende 
russisch-deutsche Gegensatz aber begründete sich darin nicht allein. Das 
Deutsche Reich, schon durch sein Borhandensein als eine gewaltige Macht* 
in Mitteleuropa, wo bis dahin keine solche Macht gewesen war, mußte 
Rußland unbequem werden. Die Politik des Fürsten Bismarck erkannte 
das und die darin liegende Gefahr, und er versuchte ebendeshalb, die 
deutsch-russischen Beziehungen so freundschaftlich und so vertrauensvoll zu 
gestalten, wie er konnte. Dieser Politik aber waren Grenzen gesetzt in der 
deutschen Rücksicht auf die Machtstellung und das Znteresse OÖsterreich- 
Ungarns und durch das Bestreben Bismarcks, auch mit Großbritannien 
in guten Beziehungen zu leben. In Rußland hatte die Rolle Bismarcks 
im Berliner Kongresse tief verstimmt, nicht nur persönlich den Fürsten 
Gortschakow, sondern auch die weiten Kreise und starken Strömungen 
in Rußland, deren Ziel russische Ausbreitung nach dem Orient unter 
Überrennung Osterreich-Ungarns war. Die Stärke dieser Strömungen 
ist wohl hauptsächlich deshalb in Deutschland unterschätzt worden, weil 
das Gewicht und die Macht des Zaren und der Beziehungen zwischen 
den Opnastien so bedeutend war. Alexander III. wollte tatsächlich den 
Frieden. Die persönlichen Beziehungen der beiden Kaiser, das Vertrauen 
des russischen Monarchen zu Bismarck, ferner des letzteren Bestreben: wo 
immer das deutsche Interesse es gestattete, russischen Wünschen entgegen- 
zukommen, verhinderten lange eine tatsächliche Förderung des Gortschakow- 
schen Lieblingsgedankens. Die Monarchen wie deren Negierungen 
hatten trotz mancher gelegentlichen Schwierigkeiten das Gefühl, po- 
litisch und dynastisch aufeinander angewiesen zu sein und positiv: zu 
beiderseitigem Nutzen und zur Erhaltung des Friedens miteinander
	        
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