Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Lücke in der Rüstung des Dreibundes. 9 
Die Welt wußte, daß Kaiser Friedrich ein todkranker Mann war und seine 
Regierung nur sehr kurze Zeit dauern konnte. In der Hand des Fürsten 
Bismarck lag damals tatsächlich alles, und zu gleicher Zeit war die Gegner- 
schaft gegen ihn in Deutschland selbst zu einem Höchstmaße an Schärfe und 
Bitterkeit angewachsen, eine Tatsache, die man im Auslande häufig mit 
Geschicklichkeit benutzte. Der dänisch-französische seinerzeit sehr einfluß- 
reiche und tätige diplomatische Agent Herr Jules Hansen sagt nach dem Weg- 
gange Bismarcks: „In Europa schuf das Ereignis eine wahrhafte Erleich- 
terung. In Frankreich hatte man die Empfindung, daß eine neue Ara 
anbreche und daß man endlich von der durch Biomarcks gewalttätige Politik 
erzeugten Beklemmung und Beängstigung befreit sein werde. Aun endlich 
hatte Frankreich nicht mehr den energischen Einspruch zu fürchten, den 
Bismarck jedenfalls gegen die Verwirklichung eines französisch-russischen 
Bündnisses erhoben hätte, und damit war die Aufgabe des französischen 
Ministers des Auswärtigen sehr erleichtert.“ — 
Das ist freilich mur ein Stimmungsbild, entworfen in einer Zeit, wo 
Hansen vom deutsch-russischen Rückversicherungsvertrage nichts ahnte und 
das Zögern des russischen Zaren, zu einem formalen Bündnisse mit Frank- 
reich zu kommen, nur auf direkte Einwirkung Bismarcks fälschlich zurück- 
führte. 
Die Lücke in der Rüstung des Dreibundes. 
Zm Jahre 1877 reiste Crispi in geheimer Mission zu Bismarck, um 
sich mit ihm über ein italienisch-deutsches Bündnis zu beraten. Die An- 
bahnung enger Beziehungen zwischen den beiden Ländern oder vielmehr 
deren Wiederaufnahme datierte schon seit Anfang der siebziger Zahre. 
Ztalien wollte sich politisch und diplomatisch in Europa befestigen, hatte 
aber damit Schwierigkeiten, zumal weil die italienischen Staatsmänner selbst 
uneinig waren und ebensowenig wie die öffentliche Meinung Ztaliens 
wußten, wie und mit welchen Mitteln die italienische Politik zu orientieren 
sei. Dazu kam militärische, maritime und finanzielle Schwäche. Man 
schwankte zwischen Anschluß an Frankreich und einem solchen an die mittel- 
europäischen Mächte. Die Unterredungen, die Crispi, der von Anfang an 
entschlossen für eine Annäherung an Deutschland eintrat, mit Bismarck 
hatte, fanden kurz vor dem Berliner Kongresse statt. Die beiden Staats- 
männer erörterten u. a. die italienisch-österreichischen Beziehungen. Bis- 
marck machte deren Freundlichkeit gewissermaßen zur Bedingung eines 
deutsch-italienischen Bündnisses. In der Orientfrage fürchtete Crispi, 
daß Osterreich-Ungarn einen zu großen Landzuwachs erhielte, und erklärte, 
IStalien könne nicht gestatten, daß Osterreich Bosnien und die Herzegowina 
besetze. Bismarck bot ihm dafür Albanien an und sagte, wie Crispi berichtet:
	        
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