Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

40 1. Abschnitt. Von Rußland zu Großbritannien. 1887—1894. 
  
heute müßig, ob man diesen Besitz hätte tatsächlich erreichen können. 
Fürst Biomarck war der Ansicht, daß, wenn Caprivi die Kunst des War- 
tens verstanden hätte, Sansibar, überwiegend von deutschem. Einflusse 
erfüllt, eines Tages deutsch geworden wäre. Aebenbei bemerkt, wurde 
gerade das Abkommen über Sansibar von den Franzosen unangenehm 
empfunden, weil ohne Rücksicht auf Fronkreich der englische Einfluß da- 
mit über den unabhängigen Sultan von Sansibar gesetzt wurde. Deutsch- 
land und Frankreich waren bisher in manchen kolonialen Fragen zusammen- 
gegangen und hatten so wiederholt wirksam das englische Ubergewicht 
aufgehoben oder vermindert. Durch die Sansibaraktion der deutschen 
Politik wurde Frankreich an England herangedrängt und gelangte dann 
auch in der Folge zu einem Austauschabkommen über Sansibar einer- 
seits, Madagaskar anderseits. In England wurde der Erwerb Sansibars 
sehr hoch angeschlagen, und die dortige Presse urteilte: der Schlüssel zur 
Stellung in Ostafrika ist die Insel Sansibar; jede Seemacht, welche diese 
Insel besitzt, übernimmt die Führerrolle an der ostafrikanischen Küste. 
Dieses Urteil hat sich freilich in der Folge als sehr stark übertrieben, ja 
als irrig erwiesen. 
Der Sturm der Entrüstung, welcher sich in Deutschland über das 
Abkommen in allen seinen Teilen erhob, ging in einigen sehr wesentlichen 
Punkten von falschen Voraussetzungen und oberflächlichen Urteilen aus 
(siehe Seite 42 ff.), mag in anderen der Form nach übertrieben gewesen 
sein. Heute, wo wir nach Ablauf beinahe eines Bierteljahrhunderts jenem 
Tausche ganz kühl gegenüberstehen, wird man doch sagen müssen, daß 
dem allgemeinen Unwillen ein sachlich richtiger Instinkt zugrunde lag. 
Das allgemeine Urteil war, daß das Deutsche Reich damals nicht gezwun- 
gen gewesen sei, einen ungünstigen Tausch zu machen. Man trat weite 
und hoffnungsreiche Gebiete an England ab, die zum Teil unter nationaler 
Begeisterung in Deutschland von den kühnen Bahnbrechern in Afrika 
gewonnen worden waren. Man hatte nicht ohne tatsächlichen Grund 
und sachliche Berechtigung von einem großen deutschen Kolonialreiche 
in Ostafrika geträumt. Was England als Entgelt in Afrika für die deutschen 
Abtretungen gab, erschien überaus geringfügig, denn jenen Küstenstreifen 
hätte man aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso über kurz oder lang be- 
kommen. Alles, was mühevoll gewonnen oder vorbereitet war, das hatte 
man nun durch einen Federstrich aus der Hand gegeben. Wie war das 
zu begreifen, wie zu rechtfertigen? 
Oer Reichskanzler v. Caprivi hat seinen Standpunkt damals in aus- 
führlichen Reden dargelegt. Er sagte: man habe sich endlich mit England 
über die Grenzführungen in Afrika einigen müssen, um klare Berhält- 
nisse zu schaffen. In Sansibar habe England die stärkere Stellung ein-
	        
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