Full text: Von Potsdam nach Doorn.

französisch-russischen Bündnisses, es zeigte sich das wachsende mißgünstige 
Unbehagen Englands, es zeigte sich, daß das neue Reich keiner anderen 
Macht genehm war. Das große Hindernis, die Ursache, daß in Europa von 
den alten Großmächten nicht mehr so gewaltet werden konnte wie früher in 
den schönen Zeiten des Deutschen Bundes — war Bismarck. Er hatte in den 
Jahren nach dem siebziger Kriege Deutschland zu der politisch führenden 
Macht des Festlandes gemacht, und sein beherrschender Einfluß strahlte 
weit über die Grenzen Europas aus. 
Auf dem Wiener Kongreß nach den Befreiungskriegen war es so schön ge- 
lungen, die deutsche Einheit nicht werden zu lassen und Preußen nieder- 
zuhalten. 1870/71 waren durch Bismarcks Schnelligkeit und Überlegenheit 
der Erfolg und seine Früchte vollständig in die Scheuern gebracht worden. 
Bismarck ging dann ungesäumt so erfolgreich an die Sicherung des neuen 
Reichsbaues, daß ein englischer Diplomat, mit dem ein anderer über die 
Ungunst der Zeiten klagte, diesem sagte: Solange Bismarck am Leben 
sei, könne man eben nichts machen. Und als der andere trübe meditierte: 
Also, was solle man denn tun!, erhielt er die Antwort: ‚Warten, bis er 
stirbt.‘ 
Ähnliche Gefühle offenbart die folgende Erzählung des Fürsten Bülow in 
seiner kurz vor dem Weltkrieg verfaßten Schrift ‚Deutsche Politik“: 
„Um die Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sagte 
mir in Rom, wo ich damals Botschafter war, mit einem Seufzer Sir Clare 
Ford, der englische Botschafter: ‚Wieviel gemütlicher und bequemer war es 
doch in der Politik, als England, Frankreich und Rußland den europäischen 
Areopag bildeten und höchstens gelegentlich Österreich herangezogen zu 
werden brauchte.“ 
Der Einiger Deutschlands wußte, was es an Mühe, an Vorsicht, an voraus- 
schauender Überlegung und an Psychologie gekostet hatte, um den „ewigen 
Bund‘, genannt Deutsches Reich, um Preußen herum als dessen stählerne 
Achse zu bilden. Je mehr Bismarck durch seine Erfahrungen der anderthalb 
Jahrzehnte nach 1871 über die wachsende Macht und zersetzende Arbeit der 
Reichsfeinde im Innern "lehrt wurde, desto sorgfältiger und vorsichtiger 
suchte er die Bundesfürsten mit Vertrauen zur Loyalität des Kaisertums 
gegen sie zu erfüllen, um wenigstens hier eine unverbrüchliche und unzer- 
brechliche Einheit wachsen zu lassen, in Gestalt einer vertrauenswürdigen 
Behandlung der Bundesfürsten durch den jeweiligen Inhaber des Kaiser- 
tums. 
Man könnte heute vielleicht denken, die Vorsicht sei doch wohl übergroß 
gewesen, denn Wilhelm II. habe die Bundesfürsten nicht selten vor den 
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