Full text: Von Potsdam nach Doorn.

in solchen Fällen gleichgültig, wie zum Beispiel in seinem Kampf gegen die. 
Kaiserin Augusta und die Kaiserin Friedrich. Bismarck hat die Hohen- 
zollern auf die Höhe der Machtstellung gebracht, aber der Fürst an sich, der 
König, der Kaiser als solcher hatte für Bismarck keinerlei Nimbus, noch 
auch die Weihe des Gottesgnadentums und die Heiligkeit der Legitimität. 
In allen diesen Dingen kam für ihn allein der realpolitische Maßstab in 
Betracht. Wilhelm II. wird diese innere Haltung des Kanzlers mit tiefem 
Unbehagen durchgefühlt haben. 
Im Unterschiede zu allen bisherigen Kämpfen, die der Kanzler für sein 
Werk rücksichtslos und mit allen Mitteln geführt hatte, und in denen er 
Wilhelm I. gegenüber mit wenigen Ausnahmen seine Ziele erreicht hatte, 
sah sich der Kanzler hier in einer Lage, die ihn annähernd ratlos machen 
mußte. Er konnte auch nicht mehr, wie früher, mit Rücktritt drohen, denn 
er sah, daß der Kaiser seinen Rücktritt wollte, und zwar auf der Stelle. 
Der langjährige bayrische Bundesrat-Bevollmächtigte zu Berlin und 
Freund des Bismarckschen Hauses, Graf Lerchenfeld, schreibt in seinen 
Denkwürdigkeiten, in denen er Bismarck durchaus nicht kritiklos beurteilt: 
„Ich habe das Vorgehen des Kaisers aus dessen Natur und Art heraus bis 
zu einem gewissen Grade verstanden, aber gebilligt habe ich es damals nicht 
und billige es auch heute nicht. Der Kaiser durfte dem Fürsten Bismarck 
nie den Stuhl vor die Tür setzen, auch wenn er in manchen Dingen nicht mit 
ihm einverstanden war. Er mußte abwarten, bis Alter und Müdigkeit den 
Fürsten selbst den Rücktritt geboten. Das gebot dem Monarchen nicht nur 
die Pflicht der Dankbarkeit gegen den Mann, der seinem Hause den Kaiser- 
thron gebaut hatte, sondern auch das wohlverstandene Interesse des Reiches, 
der Dynastie und des Kaisers selbst.‘ 
Bismarck sei noch vollkommen leistungsfähig gewesen und hätte, wo es 
not tat, ‚noch immer seinen Mann gestellt, er hätte die äußere Politik und 
die innere Politik besser geleitet als alle seine Nachfolger, und zwar schon 
auf Grund der Autorität, die nur er besaß, und die er keinem Nachfolger ver- 
erben konnte. Nur eines durfte nicht geschehen : man durfte nicht versuchen, 
dem Manne Fesseln anzulegen. Den Widerstand, den ihm der Kaiser, ge- 
stützt von berufenen und unberufenen Ratgebern, entgegenstellte, konnte 
der greise Kanzler nicht mehr ertragen, dieser Widerstand mußte ihn inner- 
lich empören und aus dem Gleichgewicht bringen. Dazu hätte allerdings der 
Monarch Klugheit, Selbstüberwindung, Geduld und Bescheidenheit be- 
sitzen müssen, alles Eigenschaften, die Wilhelm II. nicht in die Wiege gelegt 
worden waren.‘ 
Das ist alles richtig, aber auch Lerchenfeld berührt nicht den Kernpunkt: 
die Angst Bismarcks um sein Werk, um das Reich, dessen Erhaltung und 
11  Reventlow: Von Potsdam nach Doorn 225
	        
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