Full text: Von Potsdam nach Doorn.

vollzog Der Kaiser aber war schon im Jahre 1889 das Opfer der Diplomatie 
seiner Großmutter geworden, der staatsklugen und autoritären alten 
Königin Victoria. und ihrer Minister. Man faßte Wilhelm II. bei einer seiner 
schwächsten Seiten, der Eitelkeit, und verlieh ihm den Titel eines eng- 
lischen ‚Admiral of the fleet‘‘. In einem begeisterten Dankbrief schrieb er 
ihr: „Es hat Mir wirklich eine gewaltige Freude gemacht, daß ich mich jetzt 
Deiner Flotte zugehörig fühle und Interesse für sie haben kann, als ob sie 
meine eigene wäre. — Als im nächsten Jahre die Hochzeit der Schwester 
Sophie Wilhelms II. mit dem damaligen Kronprinzen von Griechenland in 
Athen stattfand, und nachher das dort liegende deutsche Geschwader und 
das englische Flottenkontingent zusammen den Hafen verlassen hatten, 
befand sich Kaiser Wilhelm ‘auf dem Flaggschiff des englischen Admirals 
und erhielt die mit Begeisterung begrüßte Erlaubnis, eine kurze Zeitlang Be- 
wegungen der gesamten Flotte durch Signalbefehle ausführen lassen zu 
dürfen. Von diesem Zeitpunkt an datiert Bismarck den entscheidenden 
Kurswechsel der deutschen Politik: von Rußland zu England. 
An solchen und ähnlichen Angelhaken fing und hielt man den Deutschen 
Kaiser, solange man ihn brauchte. Schon im Jahre 1893 war seine dienst- 
bare Rolle vorläufig erledigt, und schlechte Behandlung durch die englische 
Regierung und Presse trat an die Stelle. 
Für die ganze folgende Regierungszeit Wilhelms II. ist das Fallenlassen 
der vertraglichen Bindung mit Rußland in gewissem Sinne tatsächlich ver- 
hängnisvoll geworden, wie Bismarck voraussah. Man hat vieles gegen diese 
Auffassung angeführt: einmal die ‚Kompiziertheit‘ des von Bismarck ge- 
wobenen Netzes von Verträgen mit anderen Mächten. Kein anderer als Bis- 
marck selbst habe auf die Dauer dieses Spiel mit fünf Kugeln, von denen 
immer mindestens zwei in der Luft wären, spielen können. Und dann: ein- 
mal würde doch das französisch-russische Bündnis gekommen sein, das habe 
eben auf die Dauer unaufhaltsam im Zuge der Entwicklung gelegen. 
In die Zukunft konnte man damals ebensowenig sehen wie heute. Immer- 
hin bestand die Tatsache jenes Vertrages seit 1887, und die andere, daß 18% 
die Initiative zur Erneuerung mehrere Monate vor dem Ablauf von Ruß- 
land genommen wurde. Es war also kein vertretbarer Grund vorhanden, 
einen so kostbaren festen Besitz einfach aus der Hand zu geben. Zeigten sich 
dem Kaiser und Caprivi nach der Erneuerung Schwierigkeiten oder Nach- 
teile, so konnte man den Vertrag nach dem Ablauf der drei Jahre zum 
nächsten Termin kündigen. Die Russen boten tatsächlich auch nach Bis- 
marcks Entlassung noch einmal die Erneuerung des Vertrages an: ver- 
geblich! 
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