Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Diplomatie der Berliner überlegen sei und die Führung in der Hand habe. 
Fügen wir hinzu: wäre es 1914 nicht ebenso gewesen, so würde die Regie- 
rung des Deutschen Reiches nicht in den Krieg hineingestolpert sein. 
Das Fallenlassen des Rückversicherungsvertrages wurde in Berlin ängst- 
lich geheimgehalten, aber der Umschwung der Reichspolitik vom Vertrags- 
verhältnis zu Rußland zu einer unfreundlichen ‚‚Freundschaft‘‘ mit Groß- 
britannien machte sich sofort bemerkbar. Die kluge Königin von Enpland 
und ihre Diplomaten hatten unauffällig, geschickt und höchst erfolgreich 
gearbeitet. 
Dem Kaiser lag nach der Entlassung Bismarcks zunächst, auch noch 
später, besonders daran, den Vorgang so darzustellen, als ob die äußere Lage 
Deutschlands die sofortige Entlassung des Kanzlers erfordert habe. Wil- 
helm II. erklärte den versammelten kommandierenden Generalen: Bis- 
marck habe Österreich-Ungarn in einem Kriege gegen Rußland ‚im Stich 
lassen‘ wollen; er, der Kaiser, wolle dem Wiener Bundesgenossen unter 
allen Umständen treu bleiben. Hohenlohe schreibt zu den Eröffnungen des 
Kaisers: ‚Der Kaiser will mit Österreich gehen, selbst auf die Gefahr hin, 
mit Rußland und Frankreich in einen Krieg verwickelt zu werden. Daraus 
erkläre ich mir die Äußerungen Bismarcks, der sagte: der Kaiser treibe 
Politik in der Weise Friedrich Wilhelms IV. Das ist der schwarze Punkt der 
Zukunft.“ 
Das mehr oder weniger bestimmte Gefühl des Kaisers, ::ch wegen der Ent- 
lassung Bismarcks rechtfertigen zu müssen, zeigte sich in zwei Richtungen 
besonders: 
Den Generalen hatte er erzählt: es sei wegen der treulosen und höchst ge- 
fährlichen Außenpolitik des Fürsten gewesen. Den Bundesfürsten und 
kleineren Fürsten, wie Hohenlohe, sagte er: Bismarcks Respektlosigkeit und 
Grobheit habe ihn, den Kaiser, zur sofortigen Entlassung gezwungen. Auch 
erzählte er, Bismarck habe Deutschland in blutigen Bürgerkrieg stürzen und 
deutsche Arbeiter in Massen erschießen lassen wollen. Im übrigen arbeiteten 
seine Leute bereits während der Kanzlerkrisis mit Lügen wie die folgenden: 
Bismarck sei nicht mehr im Besitze seiner geistigen Kräfte, außerdem Mor- 
phinist geworden und bilde deshalb eine unerträgliche Gefahr bei der Wich- 
tigkeit seines Postens. Der König von Sachsen tat die Äußerung: wenn der 
Alte noch bliebe, so würde er bald völlig verrückt sein. In seiner Beant- 
wortung des erzwungenen Abschiedsgesuches, die natürlich veröffentlicht 
wurde, hatte der Kaiser dem deutschen Volk die krasse und feige Unwahr- 
heit erzählt: Bismarck selbst habe aus gesundheitlichen Gründen dringend 
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