den Abschied verlangt. Durch die Presse und alle möglichen Kanäle wurde
der deutschen Öffentlichkeit weitgehend mit Erfolg beigebracht, daß das
Scheiden des Kanzlers aus seinem Amte eine Notwendigkeit und ein Glück
für Deutschland sei, denn schon seit Jahren habe seine auswärtige Politik
nur Mißerfolge gezeitigt. Einige Jahre später erklärte ein bekannter Kon-
servativer: die Entlassung Bismarcks sei eine im Sinne des Wortes ‚‚rettende
Tat‘‘ Wilhelms II. gewesen.
Die Konservative Partei gab schon gleich nachher ihrer großen Erleichte-
cung Ausdruck. Der Liberalismus sprach von neuer, jugendkräftiger,moderner
Kaiserherrlichkeit. Bismarck habe zwar große Verdienste in der Vergangen-
heit, niemand wolle sie ihm absprechen, aber es sei doch ein großes Glück,
daß der junge, geniale und tatkräftige Kaiser nun das deutsche Volk persön-
lich und unumschränkt in die Zukunft führe. Dieser Kaiser sei ganz ein Sohn
der neuen Zeit und allen liberalen Ideen aufgeschlossen. Die Sozialdemo-
kratie jubilierte und triumphierte: nun sei der brutale Riese Bismarck ge-
stürzt, kein Zweifel könne darüber bestehen, daß sein gänzlicher Mißerfolg
in seinem Kampfe gegen die Sozialdemokratie die Ursache gewesen sei. Für
sie, die Sozialdemokratie, sei dies der Beweis, daß keine Macht in Deutsch-
land ihrem Siegeslauf widerstehen könne; der junge Kaiser möge sein, wie er
wolle, jedenfalls seien seine Bemühungen, die Arbeiterschaft mit Ver-
sprechungen und Worten zu fangen, zum Lachen. Das Zentrum war hoch-
befriedigt, seine Presse brachte immer wieder zum Ausdruck, wie tiefe Wun-
den Bismarcks Politik, besonders sein Kulturkampf, dem deutschen Volke
geschlagen habe. Andererseits stehe das Zentrum stärker da denn je. Man
könne auch — dem Himmel sei Dank — begründete Hoffnungen haben, daß
der junge Kaiser gerade dieser Frage Verständnis entgegenbringt. — Die
klugen Männer des Zentrums sollten sich nicht geirrt haben:
Während der Kanzlerkrisis hatte — erinnern wir uns! — der Kaiser auf
Bismarcks Meldung, der Zentrumsführer Windthorst sei bei ihm gewesen, in
starken Worten schweren Vorwurf gemacht und gesagt: Bismarck habe ihn
doch gleich aus der Tür werfen lassen sollen. Nach Bismarcks Entlassung
notiert Waldersee eine Äußerung des Kaisers: ‚Wenn Windthorst ins Schloß
kommt, so lasse ich ihn durch einen Gefreiten und drei Mann arretieren!“
Waldersee notiert in seinen Tagesaufzeichnungen weiter: „Dezember 1890.
Parlamentarisches Diner beim Reichskanzler (Caprivi). Der Kaiser ge-
nehmigt mit einigem Widerstreben, daß Windthorst eingeladen wird, hat
dann aber mit ihm eine längere Unterhaltung.‘
Januar 1891. I. Windthorst fällt die Treppe hinunter und verletzt sich.
Der Kaiser sagt: ‚Ist es wohl zuviel, wenn Ich einen Flügeladjutanten hin-
schicke und Mich erkundigen lasse ?“
231