Schuld an seiner Entlassung, und damit die Verantwortung, auf seine Schul-
tern zu legen. Er empfing auch seinerseits Journalisten, ließ bisweilen in den
„Hamburger Nachrichten‘ und anderen Blättern Ansichten zum Ausdruck
bringen und Urteile über die neue Politik, soweit er sie für unrichtig hielt.
Geschichtlich ist festzustellen, daß nicht Bismarck diesen sich mit Unter-
brechungen bis zu seinem Tode hinziehenden Krieg begonnen hat, sondern
dazu provoziert wurde. Man, auch der Kaiser, hat demgegenüber Caprivis
Loyalität gelobt, der nach seinem unfreiwilligen Rücktritt sich vollständig
zurückgezogen und geschwiegen habe. Diese Gegenüberstellung konntenicht
gelten, denn Bismarcks Bedeutung als Staatsmann und als Mensch und seine
Lage nach seiner Verabschiedung konnten füglich nicht mit dem Rücktritt
Caprivis und dessen Amtszeit verglichen werden. Ein Mann wie Bismarck,
der ein Menschenalter lang mit höchstem Erfolge Weltgeschichte gemacht
hatte, mußte seine Politik gegen Angriffe und Verleumdungen verteidigen,
dazu hatte er die Pflicht und das Recht, ebenso zur freien Meinungsäußerung
wie jeder andere Staatsbürger auch, seine Stellung zu der von seinem Nach-
folger, eigentlich dem Kaiser, getriebenen Politik zur Kenntnis der Öffent-
lichkeit zu bringen.
Schon acht Wochen nach Bismarcks Rücktritt ging der folgende perfide
Erlaß Caprivis, zunächst geheim, an alle amtlichen Vertreter des Deutschen
Reichs im Auslande und alle Bundesregierungen in Deutschland selbst;
natürlich wurde er sofort bekannt. Der Erlaß lautete:
„Euer (Titel) wird nicht entgangen sein, daß gegenwärtige Stimmungen
und Anschauungen des Fürsten von Bismarck, Herzog von Lauenburg,
mehrfach durch die Presse an die Öffentlichkeit gebracht worden sind. Wenn
die Regierung Seiner Majestät in vollster Anerkennung der unsterblichen
Verdienste dieses großen Staatsmannes hierzu unbedenklich schweigen
konnte, solange jene Äußerungen sich auf persönliche Verhältnisse und
innere Politik beschränkten, muß sie sich, seit auch die auswärtige Politik
davon berührt wird, die Frage vorlegen, ob solche Zurückhaltung auch
ferner zu rechtfertigen sei, ob sie nicht im Ausland schädlichen Mißde«.
tungen unterliegen könnte. Seine Majestät der Kaiser sind indes der Über-
zeugung, daß entweder von selbst eine ruhigere Stimmung eintreten oder
aber der tatsächliche Wert des von der Presse Wiedergegebenen mit der Zeit
auch im Auslande immer richtiger werde gewürdigt werden. Es sei nicht zu
befürchten, daß aus der Verbreitung subjektiver, mehr oder weniger richtig
aufgefaßter, zweifellos hier und da absichtlich entstellter und zum Teil zu
Personen von anerkannter Feindschaft gegen Deutschland getaner Äuße-
rungen ein dauernder Schaden entstehen könnte. Seine Majestät unter-
scheiden zwischen dem Bismarck von früher und jetzt und wollen seitens
235