Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Leitung eines evangelischen Kaisertums, und dem hänge ich treu an. Und 
wenn man mir in jedem Falle, wo ich nach meiner fünfzigjährigen Erfahrung 
in der Politik glaube, daß die Ratgeber meines Monarchen besser andere 
Wege einschlagen würden, den Vorwurf macht, ich treibe antimonarchische 
Politik, so möchte ich doch einmal auf unsere bestehende Verfassung auf- 
merksam machen, nach welcher die Verantwortung für alle Regierungs- 
maßregeln nicht bei dem Monarchen, sondern bei dem Reichskanzler und 
den Ministern ruht. 
Ich möchte außerdem darauf aufmerksam machen, daß diese Auffassung 
—- ich will nicht sagen, eine altgermanische, aber — eine uns in Fleisch und 
Blut liegende, lange ehe wir Verfassungen hatten, gewesen ist. Ich will Sie 
nur an ein Beispiel aus den Werken des großen Geistes, dessen Manen uns 
hier auf dieser Stätte umschweben, erinnern. Goethe stellt uns in seinem 
‚Götz von Berlichingen’ einen kaisertreuen Ritter dar, der für seinen Kaiser 
eine solche Verehrung und Anhänglichkeit hat, daß er einen kaiserlichen Rat 
mit den Worten bedrohte: ‚Trügest du nicht das Ebenbild des Kaisers, das 
ich in dem besudeltsten Konterfei verehre!‘ — Dieser Ritter trug keine Be- 
denken, als ihn der Hauptmann zur Übergabe aufforderte, diesem eine 
scharfe Kritik aus dem Fenster entgegenzurufen. Es zeigt das klar, daß Götz 
von Berlichingen und Goethe beide Sachen nicht zusammengeworfen und 
identifiziert haben. Man kann ein treuer Anhänger seiner Dynastie, des 
Königs und des Kaisers sein, ohne von der Weisheit der Maßregeln seiner 
Kommissare — wie es im ‚Götz’ heißt — überzeugt zu sein. Ich bin letzteres 
nicht und werde damit auch nicht zurückhalten.‘ — 
Die Stärke Bismarcks und seiner Kampfweise war nicht allein die ragende 
Überlegenheit, die strenge Sachlichkeit, sondern der Eindruck der gewaltigen 
Persönlichkeit. Er verfiel dabei nie in einen persönlichen Ton, weder dem 
Kaiser noch dem Kanzler und Ministern gegenüber. Das war es, was den 
Kaiser mit immer tieferer Erbitterung und mit immer größerem Haß gegen 
Bismarck erfüllte: das Gefühl, daß alle seine Reden, Verkündungen, Ver- 
sprechungen und Selbstanpreisungen Bismarck als politische Autorität 
weder überwinden noch übertäuben konnten. Während beim Kaiser immer 
sichtbarer der umgekehrte Spruch des Generalstabes zum Ausdruck kam: 
Mehr scheinen als sein! , 
Bemühungen nicht weniger Persönlichkeiten, eine ‚Versöhnung‘ zwischen 
Kaiser und Kanzler herzustellen, schlugen fehl, weil Bismarck den Stand- 
punkt vertrat, er habe sich lediglich gegen die kaiserlichen Beamten ge- 
wandt. Andererseits meinte er: ‚Ich kann die Achtung aller Mensclıen ent- 
bebren, nur meine eigene nicht!“ 
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