ZWEITER ABSCHNITT
Des Kaisers Außenpolitik
Von der Krüger-Depesche bis zum Burenkrieg
Der selbstverständliche gute Wille Wilhelms II., den man seit anderthalb
Jahrhunderten und länger mit dem Begriff eines Königs von Preußen und
später eines Deutschen Kaisers ohne weiteres verband, entbindet die ge-
schichtliche Kritik ebensowenig wie seinerzeit die zeitgenössische politische
Kritik von der Bestätigung des Urteils, das der Vater des Kaisers 1886 an
Bismarck schrieb: des Urteils der Selbstüberschätzung und der Überheblich-
keit. Man muß einen Vorwurf hinzusetzen, der noch schwerer ist, nämlich
den der Leichtfertigkeit, wie er sich gerade in jenen ersten Jahren seiner
Regierung durch und nach Bismarcks Entlassung politisch betätigte.
In neuerer Zeit noch hat man gegen abfällige Kritik an Wilhelm II. und
seiner Regierung bisweilen vorgebracht: auch heute könne gerechterweise
doch niemand verkennen, wie er immer das Gute gewollt und sich die größte
Mühe gegeben habe; wie ungerecht es sei, von einem Kaiser alle Vollkom-
menheiten zu verlangen und einen jungen Kaiser zu tadeln, weil er nicht
über Erfahrung verfügt habe. Vor allem müsse man Wilhelm II. menschlich
verstehen. Demgegenüber die Antwort: menschlich verstehen kann man
schließlich alles, ebenso wie sich in die Motive von Menschen verschiedenster
Wertigkeit hineinversetzen. Aber das kann an dem Urteil über die Leistung
eines Staatsmannes oder eines Herrschers vollends nicht das geringste
ändern, schon deshalb, da wir bei beiden den Willen: alles so gut wie mög-
lich zu machen und zum Wohle des Ganzen hinauszuführen, als selbst-
verständlich voraussetzen. Man kann hundert und aber hundert Motivie-
rungen und Entschuldigungen finden, warum es in den vielen Einzelfällen
und im ganzen immer mit Mißerfolg und Unglück endete — die Tatsache
wird damit weder aus der Welt geschafft noch überhaupt berührt, daß die
Leistungsfähigkeit, alles in allem genommen, eben nicht zugereicht hat. Das
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