Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Wir haben diese Stimmen, denen viele hinzugefügt werden könnten, so 
ausführlich gegeben, um zu zeigen, daß es von jeher eine Legende, und nicht 
einmal eine fromme, gewesen ist, daß die Beziehungen zwischen Großbritan- 
nien und Deutschland ausgezeichnet geworden und geblieben sein würden, 
wenn Deutschland nur den Britenzorn nicht durch den Bau seiner Kriegs- 
flotte erregt hätte. 1897 war die deutsche Kriegsflotte — wenn man damals 
überhaupt von einer solchen sprechen wollte — viel kleiner und schwächer 
und unmoderner als die — von Großbritannien gar nicht zu reden — Frank- 
reichs, Rußlands, der Vereinigten Staaten von Amerika, Italiens; sie war für 
jede der Großmächte eine unbeachtliche Größe. Deswegen war auch nur 
natürlich, daß die britannische Presse mit ihren zahlreichen Aufrufen zu 
einem Kriege gegen Deutschland die deutschen Kriegsschiffe kaum erwähnte, 
höchstens bemerkte, sie würden sich sicher tapfer schlagen, seien aber von 
vornherein verloren. Für einen großen Krieg rechnete man in England mit 
den deutschen Kriegsschiffen nicht. 
Ganz offen und ungescheut aber erklärte die öffentliche Meinung unter 
Vorantritt eines früheren Premierministers: Deutschland sei der Feind Groß- 
britanniens wegen der steigenden Konkurrenz seines Handels beinahe über- 
all auf der Erdoberfläche. Die lange Reihe der Seekriege Großbritanniens 
seit der Regierung der Königin Elisabeth beweist, daß die Handelseifersucht 
immer das eigentliche Leitmotiv für Großbritanniens Kriege gewesen ist. 
In einer preisgekrönten Arbeit über das Wesen der Seeherrschaft schrieb ein 
großbritannischer Seeoffizier um 1908 die folgenden Sätze: 
„Wir (Großbritannien) ziehen nicht in den Krieg aus sentimentalen Grün- 
den. Ich zweifle, ob wir das jemals taten. Krieg ist das Ergebnis von Han- 
delsfragen; seine Ziele sind, dem Gegner diejenigen Handelsbedingungen 
durch unser Schwert aufzuzwingen, die wir als notwendig erachten zum Vor- 
teil unseres Handels. Wir lassen alle Arten von Kriegsursachen gelten, aber 
ihnen liegt zugrunde der Handel, und wie die Ursache des Krieges, die Verteidi- 
gung oder die Erwerbung einer strategischen Position sein mag, ob der Bruch 
von Verträgen, oder was sonst noch — alle Ursachen führen sich auf den 
Handel als gemeinsame Wurzel zurück, und zwar aus dem einfachen und 
schlagenden Grunde, weil der Handel unser Lebensblut ist.‘ 
Das war und bleibt wahr. Damals, um Mitte der neunziger Jahre, dachte 
man in Deutschland freilich nicht an den großbritannischen Anspruch auch 
auf Beherrschung des europäischen Festlandhandels, sondern in erster 
Linie an den überseeischen Handel, an die in Übersee investierten Kapi- 
talien und an die Entwicklung der Kolonien. Das ist noch lange Zeit nachher 
ein schwerer, folgenreicher deutscher Irrtum gewesen : die englische Handels- 
eifersucht hat sich immer mit dem gleichen Haß, mit derselben raffinierten 
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