Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Der Zweck dieses Eingehens auf den Flottenbau ist die Beantwortung der 
so oft aufgeworfenen Frage, ob der Gegensatz gegen England und schließlich 
deı Weltkrieg nicht vermieden worden wären, wenn man die Flotte nicht ge- 
baut oder wenigstens nach den Wünschen Englands beschränkt hätte. Be- 
sonders ist hierfür angeführt worden: eine großbritannische Regierung habe 
doch wiederholt Deutschland ein Bündnis angeboten. Es hat Stimmen in 
Deutschland gegeben, die behaupteten: es sei ein politisches Verbrechen des 
Kaisers und seiner Regierung gewesen, diese Anerbieten nicht anzunehmen. 
Dazu läßt sich folgendes bemerken: 
Diese Bündnisvorschläge standen immer, ob ausgesprochen oder nicht, 
von England aus gesehen, im Zeichen der Benutzung des Deutschen Reiches 
gegen Rußland. Großbritannien seinerseits hatte keinerlei Gegenwert zu 
geben, auch niemals einen in Aussicht gestellt. Will man den Fall setzen, 
Großbritannien und Deutschland hätten unter sich das Türkische Reich auf- 
geteilt, wie Lord Salisbury einmal unverbindlich in den neunziger Jahren 
vorgeschlagen hatte, so würde Rußland fortan der Todfeind gewesen sein, 
die deutsche Lage im Orient wäre eine ungeheuer schwierige und gefährliche, 
schon im Hinblick auf die aufstrebenden Balkanvölker gewesen. In einem 
Kriege würde Großbritannien dem Deutschen Reiche keinerlei Beistand ge- 
leistet haben. Und um dann zum Beispiel im Mittelländischen Meere einiger- 
maßen das Gleichgewicht mitGroßbritannien herzustellen, hätte Deutschland 
doch eine Flotte notwendig gehabt, außer einer solchen in der Nordsee und 
Ostsee, gegen Rußland und Frankreich. Wollte man aber den Fall setzen: na- 
türlich hätte Deutschland dann überhaupt keiner Flotte bedurft, so würde es 
damit seinen ganzen, riesig wachsenden überseeischen Handel und seine 
Küsten schutzlos gelassen und in die gnädige oder ungnädige Obhut Groß- 
britanniens gestellt haben. 
Wir haben gesehen, wie schon Mitte der neunziger Jahre die britische 
Wut über das Anwachsen des deutschen Handels, der Schiffahrt und der 
deutschen Übersee-Interessen in England bestand, zu schärfsten Span- 
nungen führte und Kriegsdrohungen hervorrief. Niemand kann glauben, 
daß ein zur See annähernd waffenloses Deutschland in einem Bündnis Groß- 
britanniens nunmehr freundliches Wohlwollen für weitere Eroberung der 
ausländischen Märkte durch den deutschenSeehandel gefunden haben würde; 
im Gegenteil! 
Ferner hat man in England seit der Thronbesteigung Eduards VII. immer 
die Stellung eingenommen: wahrer Friede könne auf dem Kontinent nicht 
Platz greifen, solange ‚das Unrecht von 1870/71 nicht wieder gutgemacht“ 
worden wäre. Um das Jahr 1912 schrieb eine damals der englischen Regie- 
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