nicht dagewesen, Bismarck sei der einzige gewesen. Er war da, aber weil er
ein Staatsmann war, entließ ihn der Kaiser!
Nach Caprivis Entlassung schrieb ein Blatt: ‚Der Wind, der die Hohen
von ihren Sitzen herunterfegt, wechselt gar zu plötzlich. Man kann heute
mit einem Vertrauensvotum selig zu Bette gehen und morgen in aller Frühe
von Herrn von Lucanus herausgetrommelt werden mit der ‚Anregung‘, sein
Abschiedsgesuch einzureichen.‘‘ Von den Ministerwechseln sprach jedes
Jahr im Reichstag der Freisinnige E. Richter, von den Blumen des Feldes,
die der Wind knicke, von.dem man nicht wisse, woher er komme, und wohin
er wehe. -— Wer sich heute noch dieses ‚‚vat et vient‘‘ in einem so großen
Staatswesen vorzustellen vermag, ermißt ohne weiteres die verheerende Un-
ruhe, Unsicherheit, Unstetigkeit, Unzufriedenheit und Sorge, die die ganze
Bevölkerung, so oder so ergreifen mußte. Für den Kaiser bedeutete es: einen
neuen frischen Zug, Leben in die Bude bringen; tatkräftig regieren — be-
deutete es für ihn.
Hätte Wilhelm II. einige der genannten Eigenschaften seines Onkels von
England besessen, vor allem die staatsmännische, so würde er die Politik tat-
sächlich haben führen können, ohne daß sich Parlament und Presse über
das „Persönliche Regiment‘ beschwert haben würden. Das brachte der
Kaiser nicht fertig, es lag nicht in seinem Willen, nicht in seinem Wesen, und
erst nach der großen Krise von 1908, über die noch zu sprechen ist, hielt er
sich mehr zurück. Freilich nicht aus eigener Erkenntnis, sondern infolge
seines innerlichen Zusammenbruchs. Es war aber damals für vieles bereits zu
spät, außerdem verwechselte Wilhelm II. auch dann Zurückhaltung mit
verbitterter Passivität und wachsender Furchtsamkeit. Der innerliche An-
spruch aber blieb!
Von Gottes Gnaden
Ende des Jahres 1900, also nach dreizehnjähriger Regierung, gab die
„Leipziger Illustrierte Zeitung‘ heraus: ‚Ein goldenes Buch des deutschen
Volks an der Jahrhundertwende.‘ Kaiser Wilhelm II. schrieb folgende
Sätze hinein:
‚Von Gottes Gnaden ist der König, daher ist er auch nur dem Herrn
allein verantwortlich. Er darf seinen Weg und sein Wirken nur unter diesem
Gesichtspunkt wählen. Die furchtbar schwere Verantwortung, die der König
für sein Volk trägt, gibt ihm auch ein Anrecht auf treue Mitwirkung seiner
Untertanen. Daher muß ein jeder Mann im Volk von der Überzeugung
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