Full text: Von Potsdam nach Doorn.

EINLEITUNG 
Versailles 1870/71 
Der Bundeskanzler war mit den drei bayrischen Bevollmächtigten im 
Salon. Nach einer Viertelstunde etwa öffnete er die Flügeltür, steckte den 
Kopf mit freundlichster Miene herein und kam dann, als er noch Gesellschaft 
sah, mit einem Becher an den Tisch, wo er Platz nahm. 
„Nun wäre der bayrische Vertrag fertig und unterzeichnet‘, sagte er be- 
wegt, „die deutsche Einheit ist gemacht und der Kaiser auch.“ 
Einen Moment herrschte Stille. Dann sagte der Kanzler: ‚Es ist ein Er- 
eignis. Dann bemerkte er nach einigem Nachsinnen: ‚Die Zeitungen werden 
nicht zufrieden sein, und wer einmal in der gewöhnlichen Art Geschichte 
schreibt, kann unser Abkommen tadeln. Er kann sagen, der dumme Kerl 
hätte mehr fordern sollen, er hätte es erlangt — sie hätten gewußt, und er 
kann recht haben — mit dem Müssen. Mir aber lag mehr daran, daß die Leute 
mit der Sache innerlich zufrieden waren. — Was sind Verträge, wenn man 
muß! —- Und ich weiß, daß sie vergnügt fortgegangen sind. — Ich wollte sie 
nicht pressen, die Situation nicht ausnutzen. Der Vertrag hat seine Mängel, 
aber so ist er fester. Ich rechne ihn zu dem Wichtigsten, was wir in diesem 
Jahre erreicht haben.‘ 
‚Was den Kaiser betrifft, so habe ich ihnen den bei den Verhandlungen 
damit annehmbar gemacht, daß ich ihnen vorstellte, es müsse für ihren 
König doch bequemer und leichter sein, gewisse Rechte dem deutschen 
Kaiser einzuräumen als dem benachbarten König von Preußen.‘ Aus 
Moritz Busch: ‚Graf Bismarck und seine Leute.” 
Der Abschluß jener Verhandlungen Bismarcks mit den bayrischen Bevoll- 
mächtigten in Versailles im Dezember 1870 ist also die eigentliche Geburts- 
stunde des Zweiten Reiches: ‚Die deutsche Einheit ist gemacht und der 
Kaiser auch.‘‘ Nüchtern, wie immer, setzt Bismarck hinzu: ‚Es ist ein Er- 
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