Full text: Von Potsdam nach Doorn.

unterschrieben hatte, den Brief wieder nach Versailles zu Händen Bismarcks 
zu bringen. 
Der wichtigste Teil des Bismarckschen Entwurfs lautete: 
„Ich habe mich zu deren (der dem Könige von Preußen übertragenen Prä- 
sidialrechte über alle deutschen Staaten) Vereinigung in einer Hand in der 
Überzeugung bereit erklärt, daß dadurch den Gesamtinteressen des deut- 
schen Vaterlandes und seiner verbündeten Fürsten entsprochen werde, zu- 
gleich aber in dem Vertrauen, daß die dem Bundespräsidium nach der Ver- 
fassung zustehenden Rechte durch Wiederherstellung eines deutschen Rei- 
ches und der deutschen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden, welche 
Ew. Majestät im Namen des gesamten deutschen Vaterlandes auf Grund der 
Einigung seiner Fürsten ausüben. Ich gabe mich daher an die deutschen Für- 
sten mit dem Vorschlage gewendet, gemeinschaftlich mit mir bei Ew. Maje- 
stät in Anregung zu bringen, daß die Ausübung der Präsidialrechte mit der 
Führung des Titels eines deutschen Kaisers verbunden werde.‘ 
Damit wurde Bismarcks Doppelzweck erreicht, denn König Ludwig von 
Bayern und seine königlichen Kollegen brauchten nun nicht mehr sicheinem 
König zu unterstellen; außerdem gewann das Schreiben des Königs gerade 
dadurch einen volkstümlichen und hochherzigen Anstrich, daß der Königdes 
größten Bundesstaates nach Preußen, der, bisher als Gegner eines deutschen 
Reiches, nun selbst dem König von Preußen die Kaiserwürde anbot undnach 
außen in der ersten Linie der Repräsentant der Einigkeit der deutschen Für- 
sten erschien. Die Könige wahrten so einerseits das hohe Gefühl ihrer Würde, 
sie vergaben sich nichts, indem sie sich nicht dem König von Preußen unter- 
zuordnen bereit waren, sondern dem Deutschen Kaiser. Hindurch klang 
sympathisch der Verzicht zugunsten der Einigung und Einigkeit. 
König Wilhelm seinerseits sah sich unerwartet in eine Zwangslage gesetzt. 
Er erkannte dies, aber es wurde ihm äußerst schwer, sich in sie zu fügen. 
Nach Ankunft des königlichen Schreibens aus München las Bismarck die- 
ses inGegenwart desKronprinzen vor. Dieser schrieb hierzu in seinTagebuch: 
„Seine Majestät war über den Inhalt dieses Briefes ganz außer sich vor Un- 
willen und wie geknickt; er scheint demnach nicht zu ahnen, daß das Kon- 
zept von hier aus nach München gegangen ist ... Der König war heutenicht 
umzustimmen und sah in ‚Kaiser und Reich‘ eigentlich nur ein Kreuz für 
sich selbst, wie auch für das preußische Königtum überhaupt. — Der Kron- 
prinz hingegen war für Kaiserwürde und Kaisertitel begeistert. 
Der alte König setzte gerade dem Kaisergedanken heftigen Widerstand 
entgegen. Zu Bismarck sagte er: ‚Was soll mir der Charakter -Major ? Er 
verglich den Kaisertitel mit der Verleihung des ‚Charakters‘ eines Majors 
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