Object: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

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I, 14. Die Soziatdemokratie bis 1878. 
14. Die Sozialdemokratie bis 1878. 
Die Sozialdemokratie oder sozialistische Arbeiterpartei hatte zuerst Ferdinand 
Lassalle auf deutschem Voden erscheinen lassen. Am 23. Mai 1863 hatte er in Leipzig 
den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein gegründet. Das Statut dieses Vereins 
zeigt deutlich die fundamentalen Unterschiede von der heutigen sozialdemokratischen 
Bewegung. Denn danach stand der Verein Lassalles auf nationalem deutschen Boden. 
Er umfaßte nur Deutsche und nur zu „friedlichen und gesetzlichen Zwecken“, nämlich, 
um von den damaligen Bundesstaaten das allgemeine, gleiche und direkte Wahl- 
recht zu erkämpfen. Von diesem Wahlrecht erwartete Lassalle und sein Verein, wie 
das Stann ausdrücklich erklärt, sowohl „eine genügende Vertretung der sozialen 
Interessen des deutschen Arbeiterstandes“ als „eine wahrhaste Beseitigung der Klassen- 
gegensätze der Gesellschaft". Außerdem verlangte Lassalle nur noch Staatshilfe für 
Produktivassociationen (Werkgenossenschaften), welche nach und nach die ganze Arbeiter- 
welt umfassen sollten, um die Arbeiter dem verhängnisvollen Drucke des sogenann- 
ten „ehernen Lohngesetzes“ zu entziehen. Diesem angeblichen Gesetze hatte Lassalle 
zu demagogisch-aufreizenden Zwecken allerdings einen wesentlich anderen Sinn und 
Inhalt gegeben als die Wissenschaft und die in diesem Punkte viel menschlichere 
und idealere Wirklichkeit. Aber auch das Erz dieses „Lohngesetzes“ hielt Lassalle nicht 
für widerstandsfähig, also zu gunsten der Arbeiterklasse der Durchbrechung und Zer- 
störung verfallen, sobald das allgemeine Stimmrecht und Produktivassociationen vom 
Staate gewährt würden. Für letztere forderte er noch nicht den zehnten Teil des Be- 
trages, den gegenwärtig das Deutsche Reich zur Verwirklichung seiner sozialpolitischen 
Gesetze ausbringt. Aber auch Lassalles Forderung nach Staatshilfe zeigt, daß er und 
sein Verein ganz auf nationalem Boden standen. Sie trauten dem deutschen Staate, 
dem deutschen Volke. 
Die Darstellung des Verlaufes dieser Bewegung, des tragischen, keineswegs 
unverschuldeten Unterganges ihres hochbegabten Führers liegt außerhalb der Grenzen 
dieses Werkes. Lassalle wurde bekanntlich im August 1864 in Genf im Duell er- 
schossen. Der in Lassalles Testament zu seinem Nachfolger in der Leitung der 
deutschen Arbeiterbewegung bestimmte Bernhard Becker war eine geradezu komische 
Figur, das schlimmste Nollenfach, das ein Arbeiterführer sich wählen oder von seiner 
Natir' beschert erhalten kann, namentlich wenn er es unbewußt und unfreiwillig aus- 
füllt. Er nannte sich den „Präsidenten der Menschheit“ und versicherte, „seine Thätig- 
keit sei zwar nicht geräuschvoll, aber allseitig und nachhaltig, dem befruchtenden 
Landregen gleich, welcher auch ohne Donner und Blitz die harte Erdkruste durch- 
dringe“". In Wahrheit vernichtete selue kleinliche Gesinnung, seine unerträgliche Eitel- 
keit und Großthuerei jede gedeihliche Entwickelung des von Lassalle begründeten Ver 
eins. Dieser nahm erst wieder mächtigen Ausschwung, als 1867, nach dem Juter- 
regnum zweier ebenso unbedeutender „Präsidenten“ wie Bernhard Becker gewesen, 
(Tölcke und Perl) J. V. von Schweitzer zum Präsidenten gewählt wurde.
	        
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