Full text: Reichs-Gesetzblatt. 1898. (32)

— 371 — 
Gerichtsverfassungsgesetz. 
 
Erster Titel. 
Richteramt. 
§. 1. 
Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Gesetze unterworfene 
Gerichte ausgeübt. 
§. 2. 
Die Fähigkeit zum Richteramte wird durch die Ablegung zweier Prüfungen 
erlangt. 
Der ersten Prüfung muß ein dreijähriges Studium der Rechtswissenschaft auf 
einer Universität vorangehen. Von dem dreijährigen Zeitraume sind mindestens drei 
Halbjahre dem Studium auf einer deutschen Universität zu widmen. 
Zwischen der ersten und zweiten Prüfung muß ein Zeitraum von drei Jahren 
liegen, welcher im Dienste bei den Gerichten und bei den Rechtsanwälten zu verwenden 
ist, auch zum Theil bei der Staatsanwaltschaft verwendet werden kann. 
In den einzelnen Bundesstaaten kann bestimmt werden, daß der für das 
Universitätsstudium oder für den Vorbereitungsdienst bezeichnete Zeitraum verlängert 
wird, oder daß ein Theil des letzteren Zeitraums, jedoch höchstens ein Jahr, im 
Dienste bei Verwaltungsbehörden zu verwenden ist oder verwendet werden darf. 
§. 3. 
Wer in einem Bundesstaate die erste Prüfung bestanden hat, kann in jedem 
anderen Bundesstaate zur Vorbereitung für den Justizdienst und zur zweiten Prüfung 
zugelassen werden. 
Die in einem Bundesstaate auf die Vorbereitung verwendete Zeit kann in jedem. 
anderen Bundesstaate angerechnet werden. 
§. 4. 
Zum Richteramte befähigt ist ferner jeder ordentliche öffentliche Lehrer des 
Rechts an einer deutschen Universität. 
§. 5. 
Wer in einem Bundesstaate die Fähigkeit zum Richteramte erlangt hat, ist, 
soweit dieses Gesetz keine Ausnahme bestimmt, zu jedem Richteramte innerhalb des 
Deutschen Reichs befähigt. 
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