570 Uebersicht der politischen Entwichlung des Jahres 1880.
staats und ihrer eigenen Länder zu entziehen; endlich hatten Czechen
und Polen an sich fehr wenig Lust, die Schulpflicht und damit das Ni-
vean der allgemeinen Volksbildung wieder auf das bloße Bedürfniß
der Kirche herabzudrücken, wie die Clericalen verlangten. Aber da
jede der drei Parteien den anderen beiden erklärte, sie mache nur
mit, wenn man ihren speciellen Forderungen Genüge leiste und die
ganze Majorität der Rechten in die Brüche zu gehen drohte, wenn
auch nur wenige Stimmen von ihr abfielen, so war der Handel
bald geschlossen. Eine Hand wusch die andere. Einig war die
Rechte eigentlich nur in der Bekämpfung der deutschen Nationali-
tät, des deutschen Liberalismus und des Geistes der Verfassung,
der allen föderalistischen Gelüsten im Wege stand, einig auch in
dem Bestreben, die Regierung zu zwingen, mehr und mehr in ihre
Bahnen einzulenken und sich von ihr leiten zu lassen. Der flavi-
Tie schen Hochfluth gegenüber hat denn auch die Verfassungspartei, die
Deut= zu Anfang des Jahres noch sehr gerklüftet war, bis zu Ende des-
—- ihre Einigkeit wieder gefunden und wehrte sich mannhaft
reich. gegen die Verletzung zwar nicht des Buchstabens, wohl aber des
Geistes der Verfassung. Daß ihre Taktik immer die richtige gewesen
sei, soll damit freilich nicht behauptet werden. Zum mindesten be-
denklich war es, daß sie mehr und mehr dahin gelangte, der Regierung
von vorne herein und in allem und jedem Opposition zu machen, da
doch vorerst keinerlei Aussicht war, das Ministerium zum Rücktritt
zwingen und selber wieder ans Nuder gelangen zu können, wofür
ihre Haltung in der Delegation jedenfalls nicht geeignet war. Denn
von dieser principiellen Opposition bis zur Verweigerung des Bud-
gets war nur noch ein Schritt und von da bis zu einer Secession
der Deutschen aus dem Reichsrathe, worin ihnen ja die Czechen, die
jetzt das große Wort führten, vorangegangen waren, wäre nur ein
zweiter Schritt. Es ist für Oesterreich zu hoffen, daß es nie dazu
komme. Denn eine Secession der Deutschen wäre wahrlich ein ganz
anderes Ding, als eine solche der Czechen, die zwar die Mehrheit
der Bevölkerung Böhmens, aber für ganz Oesterreich doch nur eine
kleine Minderheit ausmachen und für die europäische Culturentwick-
lung absolut bedeutungslos sind.
ungarn. In Ungarn hielt sich während des ganzen Jahres Tisza fest
am Ruder; doch schwand die ihm ergebene Majorität des Unter-
haufes im Laufe desselben wiederholt stark zusammen. Die äußerste
Linke gewann sichtlich an Terrain und die gemäßigte Opposition