94 Dritter Abschnitt. Die innere Verwaltung. 8 29.
Uebernahme eines Hilfsbedürftigen ab, so ist Klage bei dem Verwaltungsgerichts-
hof zulässig. Soweit dabei die Organisation oder die örtliche Abgrenzung der
einzelnen Ortsarmenverbände den Gegenstand des Streits bildet, hat es bei der
Entscheidung des Gerichtshofs endgültig sein Bewenden. Im übrigen findet gegen
dessen Urteil die Berufung an das Bundesamt für das Heimatswesen statt 1).
Zur Leitung und Verwaltung der Armenpflege wird in jeder Stadt und in
der Regel (Ausnahmen können im Einzelfalle von der Kreisdirektion zugelassen
werden) auch in jeder Landgemeinde eine besondere „Armendeputation“ gebildet.
Sie besteht in den Landgemeinden aus dem Gemeindevorsteher und wenigstens
zwei vom Gemeinderat zu wählenden Mitgliedern und ist dem Gemeinde-
rat untergeordnet. Für die Städte bleibt die nähere Ordnung ihrer Zu-
sammensetzung und Ausführung der statutarischen Festsetzung vorbehalten 2). Die
Armendeputation hat die Verwaltung des der Ortsarmenkasse zustehenden Ver-
mögens zu beaufsichtigen und dafür zu sorgen, daß bei Unzulänglichkeit der regel-
mäßigen Einnahmen der fehlende Bedarf aus der Gemeindekasse zur Verfügung
gestellt oder die nötige Beihilfe aus der Kreiskommunalkasse geleistet wird. Sie
hat ferner die erforderlichen Unterstützungen nach Art und Maß zu bewilligen,
zur Behandlung armer Kranker die geeigneten Aerzte auszuwählen, über Unter-
bringung der Hilfsbedürftigen in einem Armen= oder Krankenhause, sowie über
deren Beschäftigung gegen Entgelt innerhalb oder außerhalb eines Arbeitshauses
Beschluß zu fassen. Der Vorsitzende (bz. der Stadtmagistrat) ist befugt, den An-
drohungen der Deputation durch sachgemäße Zwangsmittel (u. a. Geldstrafen,
24stündige Haft) Folgeleistung zu verschaffen 2).
+ 29. III. Gesundheitswesen. Die hohe Bedeutung eines geordneten
Medizinalwesens für das Staatswohl hat zwar schon die Medizinalverordnung
vom 21. Januar 1721 gebührend anerkannt, indem sie die praxis medica als
das vornehmste Stück der gemeinen Wohlfahrt hinstellt und zur Ausübung
des ärztlichen Berufs Niemand zulassen will, der sich nicht durch öffentliche
testimonia untadelhafter Akademien über seine wohl ausgeführten Studien, über-
standenen Examina und legitime erlangten Grade gebührend ausweisen könne,
allein die einzelnen Bestimmungen dieser Landesordnung beschränkten sich mehr
auf eine Reihe von Anstandsvorschriften, welche die Aerzte in ihrer Berufs-
ausübung beobachten sollen, als daß sie die wesentlichsten Aufgaben einer öf-
fentlichen Gesundheitspflege auch nur den allgemeinen Umrissen nach vorge-
zeichnet hätten. Einen erheblichen Fortschritt bedeutete der Erlaß des landes-
fürstl. Reglements vom 4. Januar 1747, welches zur Steuerung eingeschlichener
Mißbräuche und Unordnungen, wie zur Respizierung der Sanitäts= und Medi-
zinalanstalten ein fürstliches collegium medicum (später Ober-Sanitätskollegium
1) G. vom 5. März 1895 Nr. 26 §5 50. S. auch §s 16, S. 41, Anm. 3.
2) In der Stadt Braunschweig ist die Armenpflege auf diesem Wege geregelt durch Statut
vom 24. März 1893 5 77—92 im engsten Anschluß an das Elberfelder System (Einteilung
in Armenbezirke und Quartiere; Bezirksarmenausschüsse teils als Hilfsorgane der „Armendirek-
tion“, teils zur selbständigen Wahrnehmung der offenen Armenpflege, und Bezirksarmenpfleger
bez. Waisenpfleger).
3) SiO. # 193—199, LG. 135—141