86. Regentschaft. 15
gemeinrechtlichen Auffassung, nach welcher ein unheilbares und Regierungsunfähigkeit
bedingendes, körperliches oder geistiges Gebrechen den zur Thronfolge Berufenen
dauernd ausschließt und die Thronfolge weiter überträgt. Dieser schon in älteren
Hausverträgen ausgesprochene Grundsatz hat durch Landesregierung und Landes—
vertretung noch in neuerer Zeit ausdrückliche Anerkennung gefunden 1). Die Fälle,
in denen dagegen eine Regentschaft einzusetzen ist, sind teils in der NL O. bestimmt,
teils im „Regentschaftsgesetz“ — dem Gesetz, die provisorische Ordnung der Regierungs-
verhältnisse bei einer Thronerledigung betreffend, vom 16. Februar 1879 Nr. 3 —
vorgesehen.
1. Die Anordnungen der NLO. beschränken sich auf die eigentliche „Regierungs-
vormundschaft“. Nach dem §+ 15 des Landesgrundgesetzes, welches hier eine alte, wäh-
rend der Regierung des Herzogs Karl II. bedeutungsvoll gewordene Streitfrage ent-
schieden hat, wird der Landesfürst mit dem vollendeten 18. Jahr volljährig. Bis zu
diesem Zeitpunkt ist er „wegen Minderjährigkeit zur eigenen Ausübung der Regierung
nicht fähig“ (NLO. § 16). Die Bestellung eines Regierungsvormundes für den
minderjährigen Nachfolger (also nicht nur für einen Deszendenten) liegt dem Landes-
herrn ob. Er „wird ihn aber aus den regierungsfähigen Agnaten seines Hauses wählen
oder falls besondere Gründe, hievon abzugehen, vorhanden sein sollten, seiner Ge-
mahlin oder seiner Mutter die Vormundschaft übertragen“. Nur „wenn keine dieser
Personen vorhanden ist, steht es ihm zu, einen nicht regierenden volljährigen Prinzen
aus den zum deutschen Bunde gehörenden Fürstenhäusern zum Regenten zuernennen“
(NLO. 8 17). Hat er keine Anordnung getroffen oder — wie zu ergänzen ist —
schlägt der Berufene aus, so gilt kraft Gesetzes als berufen zuvörderst der nächste Agnat,
falls dieser ausschlägt, der nachfolgende, ferner — sowie bei dem Fehlen von Agnaten
— die Mutter des minderjährigen Thronerben und zuletzt die Großmutter väterlicher-
seits, diese wie jene jedoch nur, wenn sie im Witwenstand verblieben sind (NLO. Jl8).
Ist auf diesem Wege die Einsetzung einer Regentschaft nicht zu erreichen, so wählt die
Landesversammlung auf Vorschlag des Staatsministeriums den Vormund aus den
volljährigen nicht regierenden Prinzen der zum deutschen Bunde gehörigen Fürsten-
häuser (NLO. 819) — eine Bestimmung, die für den § 6 des „Regentschaftsgesetzes"
vorbildlich geworden ist. Der Regierungsvormund führt die Regierung, den Grund-
sätzen des heutigen deutschen Staatsrechts entsprechend, mit allen Regierungsrechten
des Landesherrn, namentlich sind während seiner Regierungsverwesung auch Aende-
rungen der Landesverfassung für durchaus zulässig zu halten 2).
In bezug auf die persönliche Vormundschaft hat die NLO. der Erziehung des
minderjährigen Landesfürsten eine gewisse staatsrechtliche Bedeutung insofern bei-
gelegt, als sie deren Leitung mangels anderweit getroffener Verfügung des letzten
Landesfürsten dem Regierungsvormund unter Beirat des Staatsministeriums über-
trägt, vorbehaltlich des Rechts der Mutter des Minderjährigen und nach ihr der
1) Gelegentlich der Verhandlungen, die dem Erlaß des „Regentschaftsgesetzes“ vorausgingen:
Bericht der Verfassungskommission des Landtages vom 9. März 1874, Drucksachen des 14.
ordentl. LT. Anl. 225.
2) Ein im Entwurf der NLO. befindlicher Zusatz entgegenstehenden Inhalts ist, weil „den
Grundsätzen des allgemeinen Staatsrechts zuwiderlaufend“, auf Antrag der ständischen Kom-
mission wieder gestrichen. Sitzungs-Prot. vom 6. Juli 1832.