Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band 4. Das Staatsrecht des Herzogtums Braunschweig. (4)

88. Deren verfassungsrechtliche Stellung im Allgemeinen. 21 
dischen Befugnisse dürften vornämlich in Frage kommen: das Recht der Etatfeststellung 
auch in betreff des Kammerguts, die Beseitigung der lediglich begutachtenden Mit- 
wirkung bei gewissen Gruppen von Landesgesetzen, und die freie Wahl der Präsidenten 
des Landtags. 
Die NLO. hat dem ihr innewohnenden Charakter einer modernen Repräsentativ- 
Verfassung Ausdruck gegeben, indem sie die „Stände des Herzogtums“ in ihrem Ver- 
hältnis zur Landesregierung bezeichnet als die Vertreter der Gesamtheit der Landes- 
einwohner (Staatsangehörigen), denen die heilige Pflicht obliege, in ihrem Wirkungs- 
kreise die Wohlfahrt des Vaterlandes, frei von anderen Rücksichten, gewissenhaft zu 
befördern (§57, 94). Daher hat seinen Wählern gegenüber kein Abgeordneter sich als 
der besondere Vertreter seiner Standesklasse zu betrachten, keine Instruktionen von 
anderen anzunehmen und zu beachten (NLO. § 76, 133). Wenn sich weiterhin die 
Vorschrift findet, daß die Landstände sich nur mit den Gegenständen zu beschäftigen 
haben, die durch Verfassungsbestimmungen ihrem Wirkungskreise überwiesen seien, 
(NLO. 95), so hat das Gesetz doch darauf verzichtet, eine genaue sachliche Abgren- 
zung der Zuständigkeit festzustellen. Eine solche ist auch kaum möglich. Die Aufgabe 
der Landesvertretung kann sich auf alles erstrecken, was unter den weiten Begriff des 
Staatszwecks fällt. Die gegebene Beschränkung liegt im geschichtlich begründeten 
Wesen des Landtages als eines Organes des staatlichen Gemeinwesens, das weder 
zur Ausübung der Staatsgewalt berufen ist, noch auch unmittelbar in die Staats- 
verwaltung eingreifen darf 1). 
Im wesentlichen ist die Tätigkeit der Landesversammlung allerdings durch das 
Landesgrundgesetz vorgezeichnet. Entstehen über dessen Auslegung Zweifel, die sich 
nicht durch einen in der NLO. näher geordneten Ausgleichungsversuch heben lassen, 
so entscheidet darüber in erster und letzter Instanz ein besonderer Gerichtshof, welcher 
in gleicher Weise, wie der über Anklagen wegen Verfassungsverletzung erkennende 
Gerichtshof zusammengesetzt wird (NLO. 7 231). 
Ueber die Funktionen der Landesversammlung auf dem Gebiet der Gesetzgebung 
und des Finanzwesens vgl. §§ 21 und 26. Als Befugnisse allgemeinen Inhalts sind 
zu erwähnen: 
1. Das Recht, dem Landesfürsten Vorschläge zu Gesetzen, Verordnungen, all- 
gemeinen Verfügungen und zur Errichtung öffentlicher Anstalten zu machen. Auf 
solche Vorschläge sollen stets landesfürstliche Entschließungeen und zwar im Ablehnungs- 
fall mit Angabe der Gründe erfolgen 2) (NLO. F 104). 
2. Das Recht allgemeiner Kontrolle, welches die Landesversammlung ermächtigt, 
wegen bemerkter Mängel oder Mißbräuche bei Gesetzgebung, Rechtspflege und 
Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten Vorträge an die Regierung zu richten 
  
1) Otto, S. 123. Diesem Grundsatz entspricht auch die aus der GO. vom 12. Oktob. 
1832 & 83 herübergenommene Bestimmung in § 75 der GO. vom 20. Januar 1893, wonach 
die Landesversammlung nur an den Landesfürsten oder das Staatsministerium Anträge richten, 
dagegen mit keiner anderen Landesbehörde in irgend eine Geschäftsverbindung treten darf. 
Ausgeschlossen ist hiernach auch das „Recht der Enqucête“. 
2) In diesem allgemeinen Vorschlagsrecht ist jedoch das Recht der Initiative im eigent- 
lichen Sinn, also das Recht zum Einbringen eines förmlichen Gesetzentwurfs zur Beratung in 
den geschäftsordnungsmäßig für die Regierungsvorlagen vorgeschriebenen Formen nicht enthalten. 
Nähere Nachweise darüber:e Rhamm, Verf.-Gesetze S. 188, Anm. 1.
	        
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