22 Zweiter Abschn. Die Organisation. J. Die obersten Staatsorgane. B. Die Landesverflg. § 8.
und sich über deren Abstellung gutachtlich zu äußern (NLO. 8 106), auch darüber zu
wachen, daß niemand in seinen verfaßungsmäßigen Rechten verletzt, namentlich ohne
gesetzlichen Grund und ohne ordnungsmäßige Verfügung der zuständigen Behörde
verfolgt, verhaftet, bestraft oder sonst an Freiheit und Eigentum gekränkt werde
(NLO. 8 107). Der Durchführung dieses Kontrollrechts dient zunächst das Recht
der Interpellation (Gesch.-Ordn. § 33 fg.), ferner die Befugnis, von Einzelnen und
von Korporationen Bittschriften und Beschwerden über die Landesbehörden entgegen-
zunehmen (NLO. F 114) 1) und zuletzt geeignetenfalls das Recht der Minister-
anklage. Die Anklage 5) ist auf Verletzung der Verfassung zu gründen und richtet sich bei
schriftlichen Erlassen gegen diejenigen Minister, welche kontrasigniert oder unterzeichnet
haben, ohne Zulassung der Berufung auf eine vorher mündlich oder schriftlich erklärte
abweichende Meinung (NLO. 5 156). Das Recht der Anklage erstreckt sich nach dem
Landesgrundgesetz auch gegen die dem Staatsministerium untergeordneten Beamtens)
und andererseits wiederum gegen Mitglieder des landständischen Ausschusses. Doch
ist es in der letzteren Richtung seither gegenstandslos geworden durch das G. vom
9. August 1867 Nr. 64, laut dessen kein Abgeordneter zu irgend einer Zeit wegen
seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs gemachten Aeußer-
ungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der Landesver-
sammlung zur Verantwortung gezogen werden darf 1). Auch hat das Anklagerecht
gegen die dem Ministerium nicht angehörenden Staatsbeamten durch die umfassende
Neuordnung des Disziplinarverfahrens im ZS1D G. vom 4. April 1889 seine Be-
deutung verloren. — Das Verfahren wird eingeleitet auf Grund eines Strafantrags,
welcher eine Verletzung „der auf den vorliegenden Fall unzweifelhaft anwendbaren
Bestimmungen des Landesgrundgesetzes“ voraussetzt (NLO. § 108) und von der
Landesversammlung spätestens binnen 6 Jahren nach eingetretener Verletzung er-
hoben werden muß. Das Urteil hat sich auf die Beantwortung der Schuldfrage hin-
sichtlich der behaupteten Verfassungsverletzung zu beschränken, die Aburteilung des
etwa zugleich darin enthaltenen gemeinen Verbrechens oder Vergehens, wie die Ent-
scheidung etwaiger Entschädigungsansprüche bleibt den ordentlichen Gerichten vorbe-
halten. Bei Feststellung des strafbaren Tatbestandes, der in einer Handlung oder
Unterlassung bestehen kann, ist der Nachweis des dolus, d. h. des Bewußtseins des
Schuldigen, daß er eine Verfassungsbestimmung verletze, nicht erforderlich 5): zweifel-
lose Bestimmungen der Verfassung müssen die, welche letztere zu handhaben berufen
sind, kennen. Zur Erhebung der Anklage ist ausschließlich die Landesversammlung zu-
ständig; hat sie einmal eine Handlung oder Unterlassung, wegen deren eine Anklage
in Frage kommen könnte, durch Beschluß gebilligt, so „findet eine Anklage nicht
weiter statt". Der zur Verhandlung und Entscheidung berufene Gerichtshof be-
1) Beschwerden jedoch nur bei erbrachtem Nachweis, daß die Beschwerdeführer um Ab-
hilfe vergeblich bei der Landesregierung nachgesucht haben (G. vom 20. Apcil 1848 Nr. 16 F 1).
2) NLO. S8 108—112. G. vom 19. März 1850 Nr. 19 und vom 20. März 1894 Nr 14 § 1).
3) Soweit sie in den Grenzen eigener Verantwortlichkeit handelten und ein Antrag auf
Bestrafung bei den vorgesetzten Behörden, zuletzt bei dem Ministerium, angebracht und acht
Wochen lang unbeachtet geblieben ist (NL O. 8 108 Abs. 3).
4) Dieses Gesetz, welches durch die Bestimmungen des Art. 30 der Verfassung des NMDB.
erforderlich geworden war, ist merkwürdiger Weise erlassen lediglich als Novelle zur Geschäfts-
ordnung.
5) Nach einer ausdrücklichen Feststellung der landständischen Kommission vom 5. Juli 1832.