66 Dritter Abschnitt. Die allgemeinen Funktionen der Staatsgewalt. l22.
tun. „Alle in dieser verfassungsmäßigen Form vom Landesfürsten verkündigten
Gesetze müssen von allen Landeseinwohnern, Behörden und Gerichten befolgt wer-
den“ (NLO. § 100). Allerdings unter der weiteren Voraussetzung, daß dem Er-
fordernis der Kontrasignatur von Seiten eines stimmführenden Ministers genügt
worden ist (ebd. §& 155). Das durch die Eingangsformel der Gesetze bekundete Ein-
verständnis der Landesregierung und der Landesversammlung über die Form der
verfassungsmäßigen Mitwirkung der letzteren schließt demnach jede weitere Bean-
standung der Gültigkeit des Gesetzesinhalts aus, sofern dieser nur überhaupt der
sachlichen Zuständigkeit der Landes= und nicht der Reichsgesetzgebung unterfällt.
Mag ein nur mit Rat und Gutachten des Landtags erlassenes Gesetz der Zu-
stimmung desselben, ein mit einfacher Stimmenmehrheit genehmigtes Gesetz der
verstärkten Mehrheit, ein mit dem Ausschuß vereinbartes Gesetz der Mitwirkung
der Landesversammlung selbst bedurft haben: alle diese Fragen gelten dem Willen
und Wortlaut der absoluten Verfassungsvorschrift gegenüber als interna, die der
richterlichen Nachprüfung entzogen sind. Dagegen tritt das richterliche Prüfungs-
recht bei den Verordnungen voll in Wirksamkeit. Einer in Form der Ver-
ordnung ergangenen Verfügung, die nach ihrem Inhalt unter den Gesetzesbe-
griff fällt, kommt ebensowenig verbindliche Kraft zu, als einer Ministerialverfügung,
die inhaltlich unter den Bereich der Verordnungen zu stellen sein würde und
daher der Verkündigung seitens der „Landesregierung“ bedürfte.
Eine Verbindlichkeit des Landesfürsten zur Sanktionierung und Verkündigung
eines Gesetzes, dessen Inhalt mit der Landesvertretung vereinbart worden ist,
besteht nicht (NLO. §& 145). Auch werden Sanktion und Verkündigungsbefehl
vom Landesfürsten, solange die Verkündigung nicht erfolgt ist, zurückgenommen
werden können.
Für die Art der Bekanntmachung und den Anfangstermin der verbindli-
chen Kraft von Gesetzen und Verordnungen ist die VO. vom 5. Januar 1814
maßgebend, welche bestimmt, daß die Herausgabe einer „sämtliche allgemeine
Verfügungen“ umfassenden Verordnungssammlung (sIetzt: „Gesetz= und Verordnungs-
sammlung") veranstaltet und die Ausgabe der einzelnen Stücke durch das amt-
lich Regierungsblatt bekannt gemacht werden, auch mit dem Anfang des achten
Tages, nachdem diese Bekanntmachung geschehen, eine jede der darin erwähn-
ten „Verfügungen“ (mangels einer in ihr enthaltenen anderweiten Anordnung)
verbindliche Kraft haben solle 1).
22. Die Enteignung. Wie die Staatsgewalt zur Wahrung der Rechts-
ordnung und im Interesse der öffentlichen Sicherheit mit ihrem Befehls= und
Zwangsrecht die Handlungsfreiheit der Person zu beschränken vermag, so unter-
liegt ihrem Eingriff aus Rücksichten des öffentlichen Rechts auch das Eigentum
unter den gesetzlich näher geordneten Voraussetzungen.
Im Anschluß an die allgemeine Zusage, daß die jedem Landeseinwohner
und jeder rechtlich bestehenden Korporation gewährleistete Sicherheit der Person,
des Eigentums und der sonstigen Rechte nur solchen Beschränkungen, die auf
1) Ueber Berichtigungen fehlerhafter Gesetztexte: Anschütz, in 6. Aufl. von G. Meyer's
deutsch. Staatsrecht § 158, S. 567 Fg.