— 98 —
87.
6. Auswärtige Verhältnisse.
Der Landesfürst vertritt den Staat in allen Verhältnissen
zu dem Deutschen Bunde und zu anderen Staaten!).
Er ordnet die Gesandtschaften und Missionen an, schließt
Staatsverträge und erwirbt dadurch Rechte für das Herzogthum,
so wie er dasselbe zur Erfüllung der vertragsmäßigeu Verbind—
lichkeit verpflichtet?).
1) Nachdem an die Stelle des Deutschen Bundes das Deutsche Reich
getreten ist, hat die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis der Landesherren der
Gliedstaaten wesentliche Einschränkungen erfahren. Im allgemeinen: § 11 der
R.-V. Betreffs des Gesandtschaftsrechts der Bundesglieder: Laband, Staats-
recht, Bd. 3, § 71. Über die Frage, inwieweit den einzelnen Gliedstaaten die
Befugnis zum Abschluß von Staatsverträgen, sei es ausschließlich, sei es neben
der Reichsgewalt, verblieben ist, vgl. namentlich: Pröbst, Annalen des Deutschen
Reiches 1882, S. 246 bis 262. Auch: Laband, Bd. 1, § 63. Hinsicht-
lich der Auslieferungsverträge s. unten § 206, Anm. 2. — Privatrecht-
lichen Bestimmungen der Staatsverträge, die ein Bundesstaat mit einem
ausländischen Staate vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches ge-
schlossen hat, ist durch Art. 56 des Einführungsgesetzes zu letzterem die fernere
Gültigkeit gewahrt.
2) Unter den deutschen Verfassungsurkunden ist die N. L.-O. neben dem
insoweit ähnlich lautenden hannoverschen Staatsgrundgesetz diejenige, welche die
Trennung der völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Seite der Staatsverträge
am schärfsten dahin zum Ausdruck bringt, daß der Abschluß des Vertrages Vor-
recht der Kvone und die völkerrechtliche Gültigkeit von einer Mitwirkung der
Landesvertretung unabhängig ist, die staatsrechtliche Wirksamkeit des Vertrages
aber von seinem Inhalt abhängt, indem in jedem Einzelfalle nach Maßgabe
desselben zu prüfen und zu entscheiden ist, ob und inwieweit die landständische
Zustimmung in Anspruch genommen werden muß. Die Vermutung E. Meiers
(Abschluß von Staatsverträgen, 1874, S. 107, Anm.), daß die Bestimmungen
der beiden Verfassungsgesetze auf direkten englischen Einfluß zurückzuführen
seien, trifft für die braunschweigische N. L.-O. nicht zu, da deren gesamtes
Kapitel 1 im Regierungsentwurf zunächst fehlte und der § 8 dann, wie manche
andere Bestimmungen des Kapitels, ohne weiteres aus dem hannoverschen Ver-
fassungsentwurf von 1831 (Kap. 2, § 2) herübergenommen ist. Der ganzen
Unterscheidung zwischen der völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Gültigkeit von
Staatoverträgen dürfte übrigens eine praktische Bedeutung kaum zukommen.
Vgl. Trieps, Deutsches Reich und die Bundesstaaten, S. 211; Seydel,
Kommentar, S. 165.