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herrschend gewordenen Konkubinenleben der Geistlichen, bei
dem man allen Lüsten fröhnen konnte, ohne zu heiraten,
wie die Urkunden jener Zeit und die Berichte strengkatholischer
Zeitgenossen (wie Sebastian Brant, Thomas Murner, Eras-
mus von Rotterdam u. a.) genugsam darthun. In der Re-
formation ist vielmehr zum Ausbruche gekommen, was längst
vorbereitet und reif dazu war, nämlich die Empörung
des germanischen Geistes gegen das herrschend ge-
wordene romanische Element. Das Ansehen der Kirche
war durch ihre Entartung im fünfzehnten Jahrhundert so
tief gesunken, daß mit der neuen Bewegung die mannig-
faltigsten Ausschreitungen verbunden waren, von denen jede
den herrschenden Übelständen auf einem andern Wege bei-
zukommen suchte. Die alte Autorität war gebrochen, vor-
zugsweise durch ihre eigene Schuld, und eine neue war
noch nicht an ihre Stelle getreten. Dies rächte sich sowohl.
auf politischem Gebiete durch den blutigen Bauernkrieg von
1525, als auf dem religiösen Felde durch unheilvolle Zer-
splitterungen. Zahlreiche Reste jener Gemeinden, welche
während des Mittelalters den urchristlichen Gedanken fort-
zuführen gesucht hatten und dafür als Ketzer verfolgt worden
waren, verschmähten es, sich an die Reformation anzu-
schließen, weil diese lediglich eine Staatskirche statt der freien
Gemeindekirche anstrebte, und wurden deshalb sowohl von
katholischen als von protestantischen Machthabern blutig unter-
drückt. Unter diese Leute, welche man irrig Wiedertäufer
nannte, weil sie in altchristlicher Weise nicht Kinder, sondern
nur Erwachsene, Gläubige tauften, drängten sich allerlei
unlautere Elemente, welche die freiere religiöse Richtung
durch ihren religiös-politischen Wahnsinn in den Augen der
Nachwelt in einen unverdienten Mißkredit brachten. Von
diesen Elementen aber wurde ein Ereignis in Scene gesetzt,
welches jenen Wahnsinn auf die Spitze trieb, nämlich die
Errichtung des „Königreichs Zion“ in der westfälischen