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thun auch rein nichts zur Sache, wenn einmal Unkeuschheit
vorliegt. Eine eindringliche Ermahnung ist hier einem un-
saubern Examen doch gewiß weit vorzuziehen, wirksamer
und der Kirche würdiger, abgesehen von den Gefahren, die
es unter Umständen sowohl dem Beichtvater als dem Beicht-
kinde bereiten kann! Unschuldige Knaben und Mädchen
und unerfahrene Frauen können hierdurch auf Gedanken
geführt werden, die ihnen sonst fremd blieben.
Die Lüge spielt eine große Rolle im jesuitischen
Moralsystem, leider mehr durch ihre Gestattung, als durch
ihr Verbot. Die Jesuiten gestatten in Strafprozessen den
Angeklagten und den Zeugen so viele Verdrehungen, Leug-
nungen und andere Unwahrheiten, daß bei ihrer Befolgung
die Thätigkeit der Gerichte ungemein erschwert, wo nicht
vereitelt würde. Allerdings setzt Sanchez dabei den Fall,
daß die Frage des Richters ungerechtfertigt sei; aber er
überläßt die Beurteilung dieses Umstandes dem zu Ver-
hörenden! Aus der weitern Ausführung dieses jesuitischen
Gelehrten geht übrigens klar hervor, daß unter einem Richter,
welcher ungerechtfertigte Fragen stellt, ein solcher zu ver-
stehen ist, welcher seiner Ansichten wegen bei der Kirche
nicht in Gunst steht! Aber auch ohne diesen Umstand darf
man nach Sanchez eine Handlung leugnen, wenn man
hofft, hierdurch seine Freisprechung zu erzielen oder seinen
Vorteil zu wahren oder auch irgend welchen Vorbehalt in
Gedanken dabei macht (s. oben S. 65), so daß im Grunde
jedes Leugnen als erlaubt erscheint. Unter diesen Um-
ständen wird auch Meineid ausdrücklich gestattet (Sanchez,
opus morale in praec. Decal. Lib. III, Cap. 6, No. 23—46)!
Gury verbietet zwar im Allgemeinen jede Lüge, erlaubt
aber, „aus wichtiger Ursache“ einen geistigen Vorbehalt und
zweideutige Worte zu gebrauchen, und beruft sich auf den
heiligen Alfons von Liguori, welcher zwar kein Jesuit,
aber der Gründer eines der Gesellschaft Jesu befreundeten