Cesetz, belressend die Verfassung des deutschen Reichs. Ark. 78. 163
Bundesstaates zu beurtheilende Beschwerden über verweigerte oder
gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche
Hülfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß ge-
geben hat, zu bewirken.
XIV. Allgemeine Bestimmung.
Art. 78.0
Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetz-
gebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe
14 Stimmen) gegen sich haben.
Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche be-
stimmte Rechte?) einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur
Gesammtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung") des
berechtigten Bundesstaates abgeändert werden.
1. Der mit Art. 78 der Reichsverfassung korrespondirende Art. 78
der norddeutschen Bundesverfassung forderte für Verfassungsänderungen
eine Mehrheit von zwei Drikteln der im Bundesrathe vertretenen Stimmen.
Hienach war Preußen mit Rücksicht auf das Verhälktniß der preußischen
Stimmen zur Gesammtzahl der im Bundesrathe des norddeutschen
Bundes vertretenen Stimmen im Besitze eines absoluten Veto's gegen
Verfassungsänderungen.
Dieses Veto wäre, wenn man den Art. 78 der norddeutschen
Bundesverfassung nach dem Beitritte der sämmtlichen süddeutschen Staaten
unverändert gelassen hältte, hinweggefallen, während es nach der neueren
Fassung aufrecht bleibt. cf. die Aeußerung des Präsidenten des Bundes-
kanzleramtes in den Reichstagssitzungen vom 7. und 8. Dezember 1870
(Sten. Ber. S. 129 und 143
Der Absaß II des Art. 78 der Reichsverfassung war in der nord-
deutschen Bundesverfassung nicht enthalten. Ueber die Bedentung dieses
Absatzes vergleiche die Debatte in der Sihung des deutschen Reichstags
vom 4. April 1871 (Sten. Ber. S. 159 ff.).
2. Die Frage, ob die Zustimmung zu einer nach Art. 78 Abs. 1
zu behandelnden Verfassungsänderung von den Landesregierungen in eigener
Competenz erklärt werden könne, oder ob hiezu eine Ermächtigung der
gesetzgebenden Faktoren nothwendig sei, ist nach dem Landesrechte der
Einzelstaaten zu beurtheilen. So lange in einem Staate kein Gesetz
besteht, worin die Nothwendigkeit einer derartigen Ermächtigung ausge-
sprochen ist, dürfte die Kompetenz der Landesregierungen zur Abgabe der
fraglichen Erklärung nicht zu bezweifeln sein, und zwar um so minder,
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