Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

22 Grundzüge des Verfassungsrechts des deutschen Reichs. 
Staaten auf einen ständigen Sitz in einzelnen Bundesrathsausschüssen, 
stehen sich die Einzelstaaten im Bundesrathe völlig gleich und kein 
Verkreter irgend eines Staates hat ein Vorrecht vor den anderen. 
Insbesondere ist jedes Bundesglied berechtigt, Vorschläge zu machen und 
in Vortrag zu bringen und seine Anschaunngen durch einen Bevoll- 
mächtigten im Reichstage vertreten zu lassen (Art. 7 u. 9 der Verf.). 
Die Mitglieder des Bundesraths genießen den üblichen diplomatischen 
Schutz. Die Namen derselben werden im Reichsgesetzblatte veröffent- 
licht. Angrisse auf die Integrität des Bundesraths sind im deutschen 
Strafgesetzbuche mit besonderen Strafen bedroht. 
II. Der Bundesrath wird durch den Kaiser berufen, eröffnet, 
bertagt und geschlossen. Die Berufung muß alljährlich mindestens ein- 
mal und jedenfalls, wenn der NReichstag zusammentritt, erfolgen. 
Außerdem ist der Bundesrath zu berufen, sobald ein Dritttheil der 
Stimmen es verlangt (Art. 12—14 der Verf.). 
III. 1) Der Bundesrath übt in Gemeinschaft mit dem Reichslage 
die Reichsgesehgebung aus, und zwar gewöhnlich in der Art, daß 
die Gesetzentwürfe zuerst im Bundesrathe festgestellt, alsdann im Namen 
des Kaisers an den Reichstag gebracht und hierauf nach erfolgter Zu- 
stimmung des letzteren von dem Bundesrathe sanktionirt und von dem 
Kaiser verkündigt werden (Art. 5, 7, 16 u. 17 der Verf.). Bringt 
der Reichstag Gesetze in Vorschlag, so hat der Bundesrath über deren 
Annahme oder Ablehnung zu beschließen (Art. 23 der Verf.). Der 
Bundesrath beschließt ferner über alle sonstigen dem Reichstage zu 
machenden Vorlagen und die von demselben gefaßten Beschlüsse, z. B. 
über Verträge, welche Gesetzgebungsmaterien betreffen, über den Reichs- 
haushalt und über Petitionen, welche vom Reichstage dem Bundes- 
rathe überwiesen werden (Art. 7, 11, 23 u. 71 der Verf.). Er er- 
neunt die Kommissarien, welche die Vorlagen im Reichstage zu ver- 
treten haben. 
2) Dem Bundesrathe steht ferner das Verordnungsrecht 
zu, insoferne zur Ausführung von Neichsgesetzen allgemeine Verwallungs- 
vorschriften oder sonstige Einrichtungen erforderlich sind, und das Recht, 
derartige Vorschriften oder Einrichtungen zu treffen, nicht durch Gesetz 
einem anderen Organe, in specic dem Kaiser oder Reichskanzler zu- 
gewiesen ist (Art. 7 der Verf.).
	        
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