34 Grundzüge des Verfassungsrechts des deutschen Reichs.
eines Bundesrathsbeschlusses mit Zustimmung des Kaisers ersolgen
kann (Art. 24 der Verf.). Durch die Auflösung wird dem Reichstage
nicht bloß die Befugniß, weilere Sitzungen zu halten, entzogen, son-
dern es wird die Wirksamkeit der für eine bestimmte Legislaturperiode
stattgehabten Wahlen definitiv beseiligt, so daß das Mandat der ein-
zelnen Abgeordneten erlischt. Im Falle einer Auflösung müssen inner-
halb eines Zeitraums von 60 Tagen nach derselben die Wähler und
innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen nach der Auflösung der neu-
gewählte Reichslag versammelt werden (Art. 25 der Verf.).
III. Der Reichstag ist befugt, se ine inneren Angelegen-
heiten selbst zu ordnen. Er prüft demgemäß insbesondere die Legi-
timationen seiner Mitglieder und entscheidet darüber; er regelt seinen
Geschäftsgang und seine Disciplin durch eine Geschäftsordnung und er-
wählt seine Präsidenten und Schriftführer (Art. 27 der Verf.).
Durch die Verfassung ist hinsichtlich der Geschäftsordnung) lediglich be-
stimmt, daß die Verhandlungen des Reichstags öffentlich sind (Art. 22),
dann daß der Reichstag nach absoluter Stimmenmehrheit beschließt und
daß zur Giltigkeit der Beschlußfassung die Anwesenheit der Mehrheit
der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder erforderlich ist. Bei der Beschluß-
fassung über eine nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftliche Angelegen-
heit werden nur die Stimmen derjenigen Abgeordneten gezählt, die in
Bundesstaaten gewählt sind, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich
ist (Art. 28 der Verf.).
Aus den Art. 9 und 16 der Bundesverfassung endlich ergibt sich,
daß die Mitglieder des Bundesraths und die zur Vertretung der Bundes-
rathsvorlagen berufenen Kommissäre auf Verlangen jederzeit im Reichs-
tage gehört werden müssen.
IV. Bezüglich der Aufgabe und rechtlichen Stellung der
Reichstagsabgeordneten enthält die Verfassung Folgendes:
Die Reichstagsabgeordneten sind an Aufträge und Instruktionen
nicht gebunden, sondern haben lediglich die freie Ueberzeugung über
das, was zum Besten des gesammten Volkes dient, zur Richtschnur ihrer
Abstimmung zu nehmen (Art. 29 der Verf.). Sie unterliegen bei
*) Eine singuläre Vorschrift findet sich in 8 4 des Gesetzes vom 19. Juni
1868 in Bezug auf die Bestellung der vom Reichslag zu wählenden Mitglieder
der Bundesschuldenkommission.